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■ SpätleseZwei Flamen: zwei Empfehlungen

Eine Novelle, eine traditionelle Erzählform also, die etwas leicht Angestaubtes hat, die klassische Bekleidung einer „außerordentlichen Begebenheit“: um eine solche handelt es sich beim „vierten Mann“, das ist nicht zu leugnen. In feiner Angepaßtheit an die Patina der Form hat der Erzähler der Begebenheit Elemente des Schauerromans beigegeben, spielt mit Traumsequenzen und Ahnungen – und erweist den achtziger Jahren (in denen die Novelle geschrieben wurde) die Reverenz mit den Stilmitteln der Selbstironie und dem überraschenden, wohlkalkulierten und sporadischen Gebrauch von hartem, eindeutigem Vokabular. Eine Schwulennovelle, die in vielem an Geschichten Stefan Zweigs erinnert: makellos, glattpoliert, mit untergründigem Grauen zu lesen.

Gerard Reve: „Der vierte Mann“. Aus dem Niederländischen von Jürgen Hillner. Bibliothek Suhrkamp, 138 Seiten, geb., 19,80 DM

Diese deutsche Erstausgabe wird vermutlich, wie schon die des Originals, sang- und klanglos untergehen, und so ist es zum zweiten Male schade drum: bei dem Gelärm, das heutzutage um die drittklassige deutsche Hochliteratur gemacht wird, könnte die Lektüre dessen, was ganz still anderswo erschien, von Nutzen sein und die Maßstäbe sanft und bescheiden zurechtrücken. Die „Villa des Roses“ ist eine Pension in Paris: Ort der verordneten Geselligkeit für jene, die sich ein Hotel nicht leisten können, für eine Mietwohnung den (bürgerlichen) Halt aber nicht haben. Wie bei Mansfields Ausführungen zu Einer deutschen Pension spielt genau diese mißtrauische Intimität, zu der die Dauergäste untereinander und mit den Wirtsleuten sich haben verschwören müssen, die Rolle einer Bühne für die Erzählung: die ProtagonistInnen bewegen sich auf diesem Boden ungern, schwankend und von wenig aussichtsreichen Leidenschaften getrieben. Die Kalküle der Kleinbürger – ihre Habsucht, ihr Stolz, ihr Vergnügungswille wie ihre Strategien der Übervorteilung – und ihre Bewegungen des Herzens und des Leibes werden mit Schonungslosigkeit und Eleganz geschildert: weniger boshaft als bei Mansfield, weniger kleinlich, ganz ohne Ranküne – dafür mit jener Ironie und Schärfe der Beobachtung, die Elsschot auf ein Podest zu Hermann Bang setzt. Dorthin schauen wir auf und freuen uns, daß es die beiden gibt.

Und doch ein Genörgel am Schluß: wenn ein Verlag einerseits eine derart wunderbare Übersetzung wie die von Hüsmert präsentiert und so auch seinen Respekt vor dem Text zum Ausdruck bringt, warum muß er uns andererseits mit einem Nachwort quälen, in dem wir zu unserem Erstaunen erfahren, daß es Elsschot „letztlich um den Versuch der Selbstbehauptung in einer feindseligen Welt und einer vordergründig sinnlosen Existenz“ geht?

Willem Elsschot: „Villa des Roses“. Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert, Bibliothek Suhrkamp, 177 S., geb., 22,80DM

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