: Auch Ungarn macht die Grenzen dicht
■ Bald wie in alten Zeiten: Einreise nur noch mit Einladung / Kritik von „amnesty“
Budapest (taz) – Kriminelle, Zigeuner, Araber, Rumänen, Neger und Russen – in dieser Reihenfolge und mit diesen Bezeichnungen führen nicht wenige Ungarn diejenigen Personen auf, deren Anwesenheit im Land sie rundheraus ablehnen. Eine langfristig angelegte Meinungsumfrage hat ergeben, daß die Toleranz der Magyaren gegenüber eigenen Minderheiten und Ausländern – darunter selbst den Angehörigen der in den Nachbarländern lebenden ungarischen Minderheiten – in den letzten beiden Jahren rapide gesunken ist.
Die Vorbehalte gegen Menschen aus anderen Ländern verwundern um so mehr, als das sogenannte „Ausländerproblem“ in Ungarn im Vergleich zu westeuropäischen Ländern eigentlich gar nicht existiert. Schon Statistiken zeigen das: Gegenwärtig leben in Ungarn 28.000 ausländische Staatsbürger mit befristeten Aufenthaltsgenehmigungen, in der Mehrheit der Fälle Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien oder Rumänien-Ungarn. Verschwindend gering ist mit 70.000 die Zahl der Ausländer, die innerhalb der letzten zwanzig Jahre in das Zehn- Millionen-Land übersiedelten. Unter ihnen machen Rumänien- Ungarn knapp 60 Prozent aus, während nur 849 Bürger aus asiatischen, 175 aus afrikanischen und 895 aus arabischen Staaten eine Daueraufenthaltserlaubnis besitzen. Auf der anderen Seite verwiesen die Behörden 1992 über 20.000 Menschen des Landes, und insgesamt einer Million Menschen wurde an den Landesgrenzen die Einreise verweigert.
Kein Asyl für Nicht-Europäer
Mitarbeiter des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) in Budapest beklagen seit langem Ungarns rigorose Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Die Genfer Flüchtlingskonvention etwa hat Ungarn nur mit einer geographischen Einschränkung unterschrieben: Lediglich europäischen Flüchtlingen gewähren die Behörden einen zeitweiligen Aufenthalt. Für nicht-europäische Staatsbürger besteht keine Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Dem UNHCR, so seine Mitarbeiter, sei zwar immer wieder versprochen worden, diese Einschränkung aufzuheben. Bis das geschieht, dürfte aber noch einige Zeit vergehen.
Auch sonst hat Ungarn bislang erfolgreich verhindern können, daß es vom Transit- zum Einwanderungsland wird. Lediglich 65.000 jugoslawische Flüchtlinge sind seit Kriegsausbruch recht großzügig und mit viel Unterstützung der Bevölkerung aufgenommen worden. Ansonsten haben Behörden die östlichen und südlichen Landesgrenzen abgeschottet. Bei Einreiseverweigerungen entscheiden Grenzbeamte oftmals aufgrund vager Anhaltspunkte, etwa wenn die Betroffenen Waren mit sich führen, mit denen sie handeln könnten, oder nach Ansicht der Beamten nicht genug Geld besitzen. Legitimiert ist dieses Vorgehen lediglich durch weit gefaßte ministerielle Anordnungen.
Über die Vorlage zum neuen sogenannten „Fremdenpolizeigesetz“ wird nun nach längerer Pause wieder im Parlament debattiert. Das Gesetz soll bisherige Praktiken auf eine festere juristische Grundlage stellen oder noch verschärfen. Innenminister Peter Boross, ein bisweilen geradezu hysterischer Propagandist des starken Staates, der gerne von „ausländischen Straftätern“ spricht, führt zur Begründung an, Ungarn könne sich nicht leisten, zum Auffanglager des Westens zu werden. Tatsächlich jedoch hat der Minister kaum Grund zur Beunruhigung. Die etwa 30.000 illegalen Grenzgänger, die die ungarischen Behörden jährlich „einfangen“, sowie illegal im Land Lebende werden zumeist ohne langwierige formale Prozeduren abgeschoben. Die entsprechenden Abschieberegelungen will Ungarn mit den Nachbarländern demnächst auch auf dem Papier vereinbaren. Das Fremdenpolizeigesetz dagegen soll präventiv eine Handhabe gegen Personengruppen bieten, die ohnehin nicht gen Westen gehen würden, sondern von vornherein in Ungarn bleiben wollen, wie etwa die Minderheiten-Ungarn aus den Nachbarländern.
Laut der Vorlage müssen Angehörige bestimmter Staaten, darunter auch solcher, mit denen Visumfreiheit besteht, für die Einreise eine polizeilich beglaubigte Einladung vorweisen. Ein längerfristiger Aufenthalt muß von den Behörden abgelehnt werden, wenn nicht im voraus nachgewiesen kann, daß Überleben und Wohnen im Land gesichert sind. Eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung wird erst nach einem bereits dreijährigen Aufenthalt in Ungarn erteilt, wenn der Betroffene nicht vorbestraft ist oder unter einer die öffentliche Gesundheit gefährdenden Krankheit leidet.
Nicht nur gegen zu erwartende Verschärfungen, sondern auch gegen die jetzige Praxis hat die Menschenrechtsorganisation amnesty international immer wieder protestiert. In ihrem neuesten Ungarn- Report prangert sie vor allem die Willkür von Polizeibeamten gegenüber Ausländern, besonders Schwarzen und Asiaten, an und kritisiert, daß schwarze Studenten nicht ausreichend vor Rechtsextremisten geschützt werden. amnesty äußert außerdem Besorgnis über die an den Grenzen herrschenden Zurückweisungspraktiken.
Dem Land wird im amnesty- Report angedroht, es in das Jahrbuch der Organisation für 1993 aufzunehmen, falls die Behörden nichts unternähmen, um die kritisierten Zustände zu verbessern. Aus dem Innenministerium verlautete dazu bislang bloß, amnesty habe sich einseitig informiert. Und als der Report kürzlich auf einer Sitzung des parlamentarischen Minderheiten- und Menschenrechtsausschusses vorgestellt wurde, verließen Abgeordnete der Regierungsparteien demonstrativ den Saal. Keno Verseck
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