: „Großserbien“ bedeutet neuen Krieg mit Kroatien
■ An diesem Wochenende will die serbische Krajina über ihren Zusammenschluß mit den bosnischen Serben abstimmen / Kroatien kann Sezession nicht hinnehmen
Daß die kroatische Staatsanwaltschaft das „Referendum“ über einen Zusammenschluß der serbischen Krajina mit der „Serbischen Republik Bosnien-Herzegowina“ für illegal erklärt hat, dürfte dort niemanden stören. Erstens gelten die Gesetze des unabhängigen Staates in der mehrheitlich serbisch besiedelten Enklave im serbisch besetzten Südosten der Ex- jugoslawischen Teilrepublik nicht. Und zweitens ist genau der von kroatischer Seite monierte „Verstoß gegen die territoriale Integrität Kroatiens“ Ziel der krajiner Abstimmung. Dort, in der „Hauptstadt“ Knin, geht es um nichts weniger als um die Gründung eines groß-serbischen Staates.
Die Belgrader „Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste“ (SANU) hatte 1986 als erste Institution des sozialistischen Jugoslawien den „Zusammenschluß aller Serben in einen Staat“ propagiert. Intellektuelle wie der vor kurzem abgesetzte jugoslawische Präsident Dobrica Ćosić malten in ihrem „Memorandum zur Lage der Serben“ das Schreckgespenst eines „kulturellen Genozids“ speziell an den kroatischen SerbInnen, aber auch an der serbischen Minderheit im zu 90 Prozent albanischen Kosovo an die Wand. Die Saat der SANU fiel auf fruchtbaren Boden: Nach offiziellen Protesten des nach-titoistischen Establishments gegen die „nationalistischen und anti-jugoslawischen Tendenzen“ in der Akademie begannen Teile des Apparates mehr oder minder offen, die neue, nationale Linie im regierenden „Bund der Kommunisten Serbiens“ zu propagieren. An die Spitze der Bewegung setzte sich der Belgrader Parteichef Slobodan Milošević, der frühzeitig erkannt hatte, das die titoistische Variante des Kommunismus nicht länger ausreichen würde, um die Macht seiner Parteibürokratie festzuschreiben.
Seit Titos Tod 1980 befand sich die jugoslawische Föderation auf einer rasanten wirtschaftlichen Talfahrt. Für die Kommunisten, die keinerlei ernsthafte Programme zur Behebung der Krise anbieten konnten, ergab sich die Notwendigkeit einer Umleitung der sozialen Forderungen der Bevölkerung in kontrollierbare Bahnen. Der Partisanen-Mythos von der Befreiung des Landes von den deutschen und italienischen Besatzern im Zweiten Weltkrieg taugte nicht mehr als ideologischer Kit; an eine Bedrohung durch Feinde von außen glaubten nach der neuen sowjetischen Entspannungspolitik Gorbatschows immer weniger Menschen in der Föderation.
Nationalismus dagegen zog nach 40 Jahren verordneter „Brüderlichkeit und Einheit“ gerade auf dem Lande viele an – nicht nur SerbInnen. Auch in der zweitgrößten jugoslawischen Republik gewannen groß-kroatische Konzepte als Reaktion auf die nationale Wendung der serbischen Partei zunehmend AnhängerInnen. Mit der Wahl des Nationalisten Franjo Tudjman zum ersten frei bestimmten Präsidenten Kroatiens im Frühjahr 1990 waren die Fronten eines anstehenden jugoslawischen Bürgerkrieges klar: 60 Prozent der ehemaligen Kader, wohl organisiert in Tudjmans „Kroatischer Demokratischer Gemeinschaft“, standen dem serbisch-nationalen Segment der jugoslawischen Nomenklatura gegenüber.
Die Krajina war schon 1991, zu Beginn des ersten serbo-kroatischen Krieges, Haupt-Zankapfel zwischen diesen beiden Fraktionen. Eine erneute Eskalation um Knin herum konnte seitdem nur vermieden werden, indem UN- Blauhelme die Sezession der mehrheitlich serbisch besiedelten Region faktisch absicherten. Diese Sezession wird offiziell werden, wenn sich die krajiner SerbInnen am Wochenende für einen gemeinsamen Staat mit ihren bosnischen „Brüdern und Schwestern“ entscheiden. Und daß die krajiner SerbInnen für den Zusammenschluß stimmen werden, ist genauso unzweifelhaft wie der angestrebte Anschluß dieser neuen „Serbischen Republik“ an die international nicht anerkannte „Bundesrepublik Jugoslawien“.
Die kroatische Führung wiederum kann die Sezession nicht hinnehmen, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Somit wird auch die Teilung Bosniens, die am Mittwoch in Genf beschlossen wurde, die zweite Runde des serbo-kroatischen Krieges nicht verhindern können. Rüdiger Rossig
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