piwik no script img

Die Mehrheit kommt ins Reservat

Der Vance-Owen-Plan ist vom Tisch, Serben und Kroaten machen sich an die Teilung des bosnischen Kuchens. Für die bosnischen Muslime, die bei Kriegsbeginn immerhin 60 Prozent der Bevölkerung der Republik stellten, werden nach der Genfer Einigung nur Krümel abfallen.

„Wir sind mit unserer Mission gescheitert, den multiethnischen, demokratischen Einheitsstaat Bosnien-Herzegowina zu erhalten.“ Bevor er gestern mittag im Genfer UNO-Palast diesen Satz in die Mikrofone und Kameras sprach, hatte David Owen 18 peinliche Stunden lang geschwiegen und einem hochzufriedenen kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman sowie dem geradezu triumphierenden bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic die öffentliche Darstellung der jüngsten Verhandlungsrunde über Bosnien- Herzegowina überlassen. Tudjman unterrichtete am Mittwoch abend die Journalisten darüber, daß der Vance-Owen-Plan in seinen wesentlichen Teilen vom Tisch sei. Er und seine Amtskollegen aus Serbien und Bosnien-Herzegowina, Slobodan Milosevic und Alija Izetbegovic, seien sich „einig geworden, daß sowohl die Karte mit der Untergliederung in zehn Provinzen wie die Verfassungsbestimmungen erheblich verändert werden müssen“. Und dann beschrieb Tudjman die sich deckenden Vorstellungen der Kroaten und der Serben für diese Änderungen: statt zehn Provinzen in einem Einheitsstaat sollten drei ethnische Separatstaaten „in einer Föderation oder einer Konföderation“ errichtet werden. Die Muslime sollen sich nach diesen Vorstellungen mit einer Region zufrieden geben, die die Städte Sarajevo, Tuzla und Zenica umschließt sowie mit einem kleinen Gebiet um die nordwestliche Stadt Bihac. Zwischen diesen beiden Regionen ist keine Verbindung vorgesehen. Das ist nur wenig mehr Territorium, als Kroaten und Serben in ihren ursprünglich im Oktober letzten Jahres in Genf vorgelegten Kartenentwürfen den Muslimen zugedacht hatten (siehe Karte). Und weit weniger Territorium, als der Vance-Owen-Plan für diese größte Bevölkerungsgruppe Bosniens vorgesehen hatte.

Angesichts dieser Entwicklung konnte Owen dann das offizielle Eingeständis nicht mehr herausschieben, daß der von ihm und seinem ehemaligen Mitvorsitzenden der Internationalen Jugoslawienkonferenz, Cyrus Vance, entwickelte Vance-Owen-Plan „an den Realitäten“ gescheitert ist. Die Gründe hierfür sieht Owen im Verhalten aller drei bosnischen Kriegsparteien, die die Karte mit der Untergliederung Bosniens in zehn Provinzen „in den letzten Monaten vor unser aller Augen zerissen“ hätten. Owen bezog diese Feststellung auch ausdrücklich auf die bosnischen Muslime unter Präsident Alija Izetbegovic. Und dies, obwohl Izetbegovic die Karte Ende März nach erheblichem Druck der beiden Konferenzvorsitzenden und der US-Regierung unterschrieben hatte und seitdem bei dieser Unterschrift geblieben ist.

Doch EG-Unterhändler Owen und der neue UNO-Vermittler Thorvald Stoltenberg schoben die Verantwortung für die derzeitige Situation gestern gleichgewichtig allen drei Kriegsparteien zu. In Bosnien-Herzegowina finde „ein Bürgerkrieg“ statt. Daß die „Welt dieses endlich eingesehen hat“ und „nicht mehr von einer „serbischen Aggression die Rede“ sei, hatte am Mittwoch abend bereits der „hochzufriedene“ Serbenführer Karadzic in Genf verkündet.

Unklar blieb gestern zunächst, wie sich die muslimische Seite und Präsident Izetbegovic in den nächsten Tagen verhalten werden. Laut Owen und Stoltenberg hatte Izetbegovic am Mittwoch zugesagt, er werde über die Vorschläge der Kroaten und Serben mit seiner Führung in Sarajevo beraten und am Mittwoch nächster Woche zu einer neuen Runde mit Tudjman und Milosevic wieder in Genf erscheinen. Doch auf Izetbegovics Pressekonferenz nach seinem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Klaus Kinkel gestern morgen in Bonn klang das anders. „Für uns sind die Verhandlungen beendet“, erklärte der Präsident. Er habe in Genf „nicht verhandelt“, betonte Izetbegovic, sondern sich nur die Vorstellungen der Kroaten und Serben „angehört“. Diese Vorstellungen seien jedoch „völlig unannehmbar“, eine „Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas ohne ethnische Vertreibungen und massenhafte Umsiedlungen nicht möglich“. Auf die Frage, ob der Vance- owen-Plan „tot“ sei, antwortete der bosnische Präsident, diesen Eindruck müsse man nach den jüngsten Entwicklungen haben. Izetbegovic verlangte erneut eine Aufhebung oder „zumindest eine Einschränkung des Waffenembargos wenigstens für Defensivwaffen, damit wir uns verteidigen können“. Nach seinem Eindruck bei dem Treffen mit Kohl stehe der Bundeskanzler dieser Forderung „positiv gegenüber“. Regierungssprecher Dieter Vogel wollte diese Darstellung so nicht bestätigen. Doch erklärte er, die Bundesregierung werde „gewaltsam geschaffene Tatsachen nicht akzeptieren“. Das gelte, so Vogel „insbesondere für die Ergebnisse ethnischer Säuberungen“. Diejenigen bosnischen Kriegsparteien, die „ihre Ziele mit brutaler Gewalt“ verfolgten, würden „von Deutschland keine Hilfe beim Wiederaufbau erhalten, solange sie an diesen mit Gewalt herbeigeführten Veränderungen festhalten“. Für diese Haltung werde sich die Bundesregierung „auch in internationalen und europäischen Gremien einsetzen“, kündigte Vogel an. Bonn werde das Thema auf die Tagesordnung des EG-Ratsgipfel kommende Woche in Kopenhagen bringen.

Nach in Genf zirkulierenden Gerüchten, die allerdings zunächst nicht offiziell bestätigt wurden, wurde Izetbegovic in Bonn allerdings auch Wirtschaftshilfe und andere Unterstützung für die künftigen muslimischen Gebiete in Bosnien-Herzegowina in Aussicht gestellt, falls seine Regierung den kroatischen und serbischen Aufteilungsplänen doch zustimmen sollte. Denn um nicht völlig das Gesicht zu verlieren, müssen die für die Jugoslawienverhandlungen der letzten neuneinhalb Monate Verantwortlichen, UNO und EG, zumindest bei dem Prinzip bleiben, daß Veränderungen des Vance- Owen-Planes nur mit Billigung aller drei Kriegsparteien möglich sind. Owen erklärte gestern denn auch, „die muslimische Regierung wäre gut beraten, sich die Vorschläge der Kroaten und Serben genau anzusehen und darüber zu verhandeln“. Hinter den Kulissen wird erheblicher Druck auf Izetbegovic ausgeübt, sich die Vorschläge nicht nur anzusehen, sondern sie auch zu akzeptieren. Denn immer intensiver beraten Owen und Stoltenberg schon mit Fikret Abdic, einem Muslimen aus Bihac, mit guten Beziehugnen zu Kroaten und Serben. Andreas Zumach, Genf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen