■ Londoner Serienkiller bedroht die Schwulenszene:
: Jede Woche ein Opfer mehr

London (taz) – Angst und Entsetzen kreisen in der Londoner Schwulenszene: Ein unbekannter Serienkiller, der bereits fünf Homosexuelle ermordet hat, davon vier in den vergangenen zweieinhalb Wochen, hat Scotland Yard weitere Opfer angekündigt: „Von nun an werde ich einen pro Woche killen“, verhieß der Unbekannte der Polizei am Telefon, nachdem er beschrieben hatte, wo er am Dienstag sein jüngstes Opfer zurüpckgelassen hatte – den 41 Jahre alten Emanuel Spiteri. Wie die anderen Männer vor ihm, war der Malteser nach sado-masochistischem Sex von seinem Mörder mit einem dünnen Strick erdrosselt worden.

Argwöhnisch betrachteten die Gäste zahlreicher Londoner Schwulenkneipen am Mittwoch abend die Schwärme von Polizisten, die sich unter sie mengten. In der nervösen und gereizten Atmosphäre wurden sie nicht gerade herzlich aufgenommen. „Nun predigt man uns, unser Sexualverhalten zu ändern. Doch in Wirklichkeit nimmt doch keiner Gewalt gegen Schwule ernst“, so ein junger Mann. „Nachdem der erste Mord passierte, waren sie schonmal hier. Seitdem gab es vier weitere – kein Polizist war weit und breit zu sehen.“

Das erste Opfer war Peter Walker, ein Theaterdirektor aus dem Londoner West-End. Am 8.März fand die Polizei ihn gefesselt und mit Kondomen geknebelt in seinem Haus auf. Als drei Wochen später der Bibliothekar Christopher Dunn ermordet aufgefunden wurde, dachte Scotland Yard noch immer nicht an einen Serienkiller. Weil der Ermordete schwarzes Ledergeschirr und Riemen am Leibe trug, hatte man zunächst auf einen Unfall während einer S/M-Session getippt. Das änderte sich erst, als sich der offenbar publicitysuchende Mörder telefonisch bei der Polizei erkundigte, weshalb er nichts über sein Opfer in der Zeitung gelesen habe.

Der dritte Ermordete, der amerikanische Geschäftsmann Perry Bradley, ist das einzige Opfer, das aus dem Rahmen fällt. Im Gegensatz zu den anderen Männern, suchte er seine Partner angeblich nicht in der S/M-Szene. Die Leiche von Andrew Collier, einem Sozialarbeiter aus Ost-London, lag schließlich zwei Tage in seiner Wohnung, bis Scotland Yard sie fand. Der Mörder hatte auch seine Katze getötet und auf den Ermordeten gelegt.

Bevor er Scotland Yard am Dienstag zur Leiche von Emanuel Spiteri lenkte, hatte der Täter mögliche Spuren durch ein Feuer in dessen Schlafzimmer verwischt, in dem man noch Teile einer S/M- Ausrüstung sicherstellte.

Laut Scotland Yard traf der Sexualmörder alle seine Opfer in Londoner Schwulenbars. Drei von ihnen waren HIV-positiv, was die Medien sofort zu Spekulationen veranlaßte, der Killer sei ebenfalls infiziert und nehme nun Rache an seinen früheren Partnern. Die Polizei wies solche Deutungen als gefährlich zurück und warnte davor, sie könnten den Täter zu weiteren Taten motivieren. Nach einem Aufruf haben sich inzwischen mehrere Anrufer mit Hinweisen auf den gesuchten Mörder bei der Polizei gemeldet. Einige von ihnen berichteten, in der Vergangenheit von ihm bedroht worden, doch noch entkommen zu sein.

Während die Sprecher einiger Schwulengruppen die Mahnungen der Polizei zu einem vorsichtigen Sexualverhalten unterstrichen, reagierten andere gereizt. „Ein Serienmörder in Londons Schwulenszene ist für die Massenblätter die Erfüllung ihrer Träume“, schrieb der homosexuelle Autor Chris Woods im Independent. Wie er fürchten nun viele Schwule um das Aufleben alter Vorurteile „von der zwielichtigen Welt der Homosexuellen, in der frustrierte und perverse Männer von einer heruntergekommenen Schwulenbar zur anderen schleichen, in der Hoffnung, einen Partner zu finden.“ Diese Befürchtung erwies sich erst recht als begründet, nachdem sich herausstellte, daß der Serienkiller nach jedem Mord nicht nur Scotland Yard, sondern auch das Massenblatt Sun informierte, das die Geschichte sofort entsprechend aufbereitete.

Bei ihren Ermittlungen arbeitet die Polizei eng mit Psychologen zusammen, die davon ausgehen, daß der Täter noch weitere Morde begehen wird. „Das Gefährliche ist die Art und Weise, in der er vorgeht“, erklärte einer. „Vielleicht gibt er nur vor, homosexuell und sado-masochistisch zu sein. Wenn sich seine Partner dann erst von ihm gefesselt haben lassen, hat er freie Hand.“ Scotland Yard wartet indes auf den nächsten Anruf des Unbekannten. Indem sie ihm eine Telefonleitung eingerichtet hat, hofft die Polizei, daß er sich meldet, bevor er das nächste Opfer trifft. Antje Passenheim