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Das Phantom des Louvre

■ „Belphégor“: Wiedersehen mit der Zeit der Fernsehtruhe

1966 hatte der Familienvorstand anläßlich der Fußball-WM endlich der Anschaffung einer Fernsehtruhe zugestimmt, so daß unsereins fortan nicht mehr regelmäßig Nachbars auf die Pelle rücken mußte („Kann ich bei euch ,Fury‘ gucken?“), sondern die Tragödie von Wembley auf dem eigenen Sofa miterleben durfte. Mit den ersten TV-Erfahrungen verbinden sich notgedrungen auch Erinnerungen ans Gruseln. Mutproben, die man als Zehnjähriger durch die Finger blinzelnd absolvierte. Wenn Timmy in arger Bedrängnis war und die rettende Lassie allzu lange auf sich warten ließ, konnte einem schon höchst mulmig werden. Doch verglichen mit dem, was dann im Herbst 1967 im (damals noch „Intermezzo“ titulierten) Vorabendprogramm der ARD über den Schirm flimmerte, war das Kinderkram. Auch wenn wenig mehr davon hängengeblieben ist, als daß es vorwiegend im Louvre zu Paris spielte und neben einem üblen Gespenst eine mysteriöse Frau mit von der Partie war – der Name des unheimlichen Spektakels ist auch 25 Jahre noch erstaunlich präsent: Belphégor. Im Rahmen des Medienforums NRW gab die „Cologne Conference“ nun Gelegenheit, einen Rückblick in ein bedeutsames Kapitel der eigenen Fernsehkindheit zu tun.

Schon Dietrich Leders Einführung in die 13teilige Serie des französischen Fernsehens machte klar, warum unsereins sich noch an einzelne Bilder erinnern konnte, den Plot aber nicht mehr auf die Reihe bekam. Die Geschichte ist so trivial wie unendlich verwickelt: Eine Leiche fällt an, und man sucht nach dem Täter. Doch statt sich Folge für Folge der Klärung zu nähern, wird das Ganze immer komplizierter. Da ist zunächst das maskierte Phantom, das nächtens sein Unwesen im Louvre treibt; dann geht es um einen Geheimbund, der es mit der Alchemie und metallischen Strahlungen hat, aber eigentlich nur ein schnöder Gangsterclub ist. Dahinter verbirgt sich wiederum die Geschichte eines Mannes mit einem ausgeprägten Mutterkomplex. Die beiden Männer, die unabhängig voneinander das Rätsel zu lösen versuchen (ein Kommissar und ein wenig strebsamer Student) stiften mehr Verwirrung als sonstwas. Und dann lockt auch noch ewig das Weib: Eine geheimnisvolle Frau (Juliette Greco) im spätexistenzialistischen schwarzen Rolli und glänzenden Stiefelchen. So verworren das ganze, so klar wurde beim Wiedersehen aber auch, welche schlichten Mittel einem damals gruselige Schauer über den Rücken jagten: Die unheilverheißende Musik von Antoine Duhamel, gepaart mit exzessiven Schwarzweiß-Schattenspielen im Labyrinth des nächtlichen Louvre. Vom wohligen Schauer ist 25 Jahre später natürlich nicht viel geblieben. Dafür offenbart die Serie beim Wiedersehen einen lakonischen Regie- und Dialogwitz, der sich auch heute noch überaus ansehnlich macht. Und ein Satz wie „Möchtest du von deinen inneren Widersprüchen reden?“ war schließlich für das Jahr 1966 pure Avantgarde. (Ob „Belphégor“ – nach einer Wiederholung 1972 – sein Unwesen noch einmal auf deutschen Bildschirmen treiben darf, ist derzeit noch nicht raus, da die Rechte inzwischen ausgelaufen sind.) Hubert Hottner

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