: Bonner Mitschuld am Bosnien-Desaster?
Verstimmungen nach scharfer US-Kritik an der deutschen Jugoslawien-Politik / Bonn weist „falsche Behauptungen“ zurück und versteckt sich hinter der EG / Ein beispielloser Vorgang ■ Von Andreas Zumach
Genf (taz) – Daß die US-Administration deutsche Politiker scharf kritisiert, ist in der Vergangenheit zwar schon vorgekommen – zum Beispiel im Frühjahr 1989 wegen der Beteiligung deutscher Unternehmen am Bau der Giftgasfabrik im libyschen Rabta. Aber eine offizielle Erklärung des Bonner Außenministeriums, in der „die falschen Behauptungen des amerikanischen Außenministers“ zurückgewiesen werden, gab es bislang noch nie. Der mit einer massiven Kritik des US-Außenministers Warren Christopher an der deutschen Jugoslawien-Politik begonnene Schlagabtausch ist beispiellos für das Verhältnis zwischen den Regierungen in Bonn und Washington.
Dabei sind die Vorwürfe, die Christopher zunächst in einem am Donnerstagmorgen veröffentlichten Interview mit der Zeitung US Today erhob und am Nachmittag in kaum abgemildeter Form auf einer Pressekonferenz in Washington wiederholte, in der Sache keineswegs neu. Deutschlands „frühe Anerkennung“ vor allem der beiden ex-jugoslawischen Republiken Kroatien und Bosnien-Herzegowina sei „ein schwerer Fehler“ gewesen, für den „die Deutschen besondere Verantwortung“ trügen, „weil sie ihre Partner in der EG hiervon überzeugten“, erklärte der US-Außenminister. „Viele Kenner der Materie“ seien der Ansicht, „daß die Probleme, vor denen wir heute stehen, von der frühen Anerkennung Bosniens und Kroatiens herrühren.“
Neu ist allerdings, daß diese Kritik durch den US-Außenminister selber und in öffentlicher Form erfolgt. Intern haben Regierungsvertreter und Diplomaten der USA wie Großbritanniens, der Niederlande und anderer EG-Staaten diese und ähnliche Kritik in den letzten 18 Monaten immer wieder vorgebracht. Im Herbst letzten Jahres verteilten die beiden Vorsitzenden der internationalen Jugoslawienkonferenz, Cyrus Vance und David Owen, in Genf Briefe des damaligen EG-Vermittlers für Jugoslawien, Lord Carrington und des seinerzeitigen UNO-Generalsekretärs Perez de Cuellar an Bundesaußenminister Genscher und seine elf Amtskollegen aus der EG. In den 2. und 10. Dezember 1991 datierten Schreiben wurde nicht etwa grundsätzlich die Anerkennung der ex-jugoslawischen Republiken abgelehnt, wie Genscher in seinem Antwortschreiben an de Cuellar vom 13. Dezember behauptete – worauf de Cuellar den Bundesaußenminister in einem weiteren Brief vom 14. Dezember 1991 denn auch mit ungewöhnlich deutlichen Worten hinwies. Sondern der UNO-Generalsekretär und der EG-Vermittler warnten – nachdem sie zunächst „das in der UNO-Charta niedergelegte Prinzip der Selbstbestimmung“ ausdrücklich unterstrichen – lediglich vor einer „frühen, selektiven und unkoordinierten Anerkennung“. Diese könne zu einer „Ausweitung des derzeitigen Konflikts führen“ und eine „explosive Situation insbesonders in Bosnien- Herzegowina und auch in Mazedonien herbeiführen“. De Cuellar erinnerte die EG-Außenminister an ihre eigene, am 8.11.91 in Rom verabschiedete Erklärung, wonach „die Möglichkeit einer Anerkennung der Unabhängigkeit jugoslawischer Teilrepubliken nur im Zusammen mit einer umfassenden Lösung ins Auge gefaßt werden“ könne.
Trotz dieser Kritik hatten die EG-Staaten schließlich auf Drängen Bonns am 17. Dezember 1991 die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens für den 15. Januar 1992 beschlossen. Dennoch erklärt das Bonner Außenministerium jetzt in Reaktion auf die Christopher-Kritik, es sei „damals nicht erkennbar gewesen, daß die Anerkennung nicht zum beabsichtigen Schutz“ der exjugoslawischen Republiken führen würde.
Tatsächlich hatte Genscher in seinem Schreiben an de Cuellar vom 13.12.91 alle Warnungen in den Wind geschlagen und geschrieben: „Die Verweigerung der Anerkennung jener Republiken, die ihre Unabhängigkeit wünschen, müßte zu weiterer Eskalation der Gewaltanwendung durch die Volksarmee führen, weil sie darin eine Bestätigung ihrer Eroberungspolitik sehen würde.“
Diese Einschätzung, wie auch den ganzen damaligen Vorgang, will Genscher heute nicht mehr wahrhaben. Und auch Nachfolger Klaus Kinkel, der die Äußerungen Christophers jetzt als „faktisch falsch“ zurückwies, stellt sich vor seinen „politischen Ziehvater“, den er jüngst zum künftigen Bundespräsidenten vorschlug.
Die Erklärung des Bonner Außenministeriums, die Anerkennung sei damals „eine gemeinsame Entscheidung der zwölf EG-Staaten“ gewesen, trifft zwar formal zu. Doch bei den meisten EG-Regierungen, die im Sommer/Herbst 1991 zunächst alle die Einschätzungen de Cuellars und Carringtons geteilt hatten, ist nicht vergessen, wie die Regierung Kohl/Genscher diese Entscheidung „mit aller Macht durchgeboxt hat“, wie der Stellvertreter von Ex-UNO- Vermittler Vance, Herbert Okun, im Herbst 1992 in Genf erklärte.
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