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Kohl beschwört das „Wir“-Gefühl

■ Kleiner CDU-Parteitag: Kanzler kündigt „eisernes Sparen“ und „viel Ärger“ an / ÖTV gegen Arbeitszeitverlängerung

Bonn/Stutgart (AFP/AP/dpa) – Bundeskanzler Kohl hat für den Bundeshaushalt 1994 ein „eisernes Sparen ohne Tabu“ angekündigt. Die Prioritäten der Staatsausgaben müßten neu festgelegt werden, sagte er gestern beim Kleinen Parteitag der CDU in Bonn. Bei der Debatte um Einsparungen werde es „viel Ärger“ geben, sagte der Kanzler, ohne Einzelheiten des Sparprogrammes zu nennen. Beim angestrebten Umbau des Sozialsystems gehe es nicht allein um die Bekämpfung des Mibrauchs bei Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung, sondern auch um unangemessene Investitionen. Es sei jetzt der Augenblick, in dem die Bürger wieder Tugenden wie beispielsweise Fleiß, Verläßlichkeit, Anstand und Würde zeigen müßten, sagte der Kanzler und fügte im Zusammenhang mit den Wohlstands- und Mentalitätsunterschieden zwischen West- und Ostdeutschland hinzu: „Wir müssen das ,Wir‘ ganz groß schreiben und das ,Ich‘ ganz klein.“

Dem CDU-Bundesausschuß mit seinen 158 Delegierten lag ein Thesenpapier des Parteivorstands zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland vor. Umweltminister Töpfer verteidigte den in ihm enthaltenenen Vorschlag, im öffentlichen Dienst wieder zur 40-Stunden-Woche zurückzukehren: „Wer jetzt nicht Strukturen verändert, hat eine falsche Politik gemacht.“

Die Vorsitzende der Gewerkschaft ÖTV, Monika Wulf-Mathies, hat die „Brüskierung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften durch „Arbeitszeit-Dekrete von oben“ scharf verurteilt. Nach einer Sitzung der Großen Tarifkommission für West- und Ostdeutschland sagte die ÖTV-Chefin, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst würden weder Benachteiligungen in Lohn- und Gehaltsrunden noch politisch verordnete Arbeitszeitverlängerungen hinnehmen. Es herrsche bei den Gewerkschaften „allergrößte Besorgnis“ darüber, mit welcher Kaltschnäuzigkeit jetzt auch von seiten der Politik Tarifverträge zur Disposition gestellt werden „und alle Regeln sozialstaatlichen Zusammenlebens gekippt werden sollen“. Frau Wulf-Mathies: „Wir brauchen aber gerade auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten einen gesellschaftlichen Minimalkonsens.“ Dazu gehöre, sich auf Verträge verlassen zu können.

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