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461.893 Unterschriften hat das „Referendum Doppelte Staatsbürgerschaft“ bis zu diesem Wochenende schon gesammelt. Auch in der offiziellen Politik ist Bewegung: Zwei unterschiedliche Gesetzentwürfe stehen vor ihrer Beratung, und auch in der Union wächst der Druck, das Staatsbürger- schaftsrecht aus dem Jahre 1913 zu modernisieren

80 Jahre Blutrecht – und bald ein Ende

Alle sprechen von „doppelter Staatsbürgerschaft – nur der Kanzler nicht, der meidet diesen Ausdruck wie der Teufel das Weihwasser, obwohl er es doch war, der zu Besuch in Ankara auf einmal eine „befristete doppelte Staatsbürgerschaft“ für die hier lebenden Ausländer in Aussicht stellte. Was ist geschehen? Es hat, so Horst Eylmann, Vorsitzender des Rechtsausschusses, „im Innenministerium Signale gegeben, daß es Schwierigkeiten gäbe...“ Zu deutsch: Auch wenn der Kanzler selbst die doppelte Staatsbürgerschaft befürwortet, wenn er sogar für ein begrenztes „ius soli“ ist, wie Focus undementiert schreibt, so wurde er doch aus dem Innenministerium zurückgepfiffen.

Wie steht es also mit der grundsätzlichen Überarbeitung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts? Was ist mit der Forderung, endlich den Grundsatz des ius sanguinis aufzugeben, wonach man deutsch eben nur dann sein kann, wenn man dem Blute nach deutsch ist? Es gibt unterdessen fast so viele Entwürfe zur Neuregelung des Staatsbürgerschaftsrechts, wie es Parteien gibt. Allein die Union läßt auf sich warten. Sie will zwar noch in dieser Legislaturperiode „etwas“ vorlegen, hat aber die größten innerfraktionellen Differenzen. Die CSU will weder die Doppelstaatsangehörigkeit akzeptieren, noch auch nur einen Fingerbreit vom Grundsatz des Blutrechts abweichen: „Unverzichtbar für die CSU ist, daß wer Deutscher werden will, seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt“, sagt CSUler Wolfgang Zeitlmann. Andererseits gibt es – spätestens seit den Morden an der Familie Genc in Solingen – Bewegung in den Reihen der CDU. Nach Heiner Geißler, der sich bereits vor Monaten für die Frage der doppelten Staatsangehörigkeit offen gezeigt hatte, sind nun auch Johannes Gerster, Hans Stercken, Horst Eylmann (siehe Interview) und Reinhard Göhner hinzugekommen.

Außerparlamentarisch hat das „Referendum Doppelte Staatsbürgerschaft“ bis zu diesem Wochenende 461.893 Unterschriften gesammelt – davon allein 200.000 in den letzten 14 Tagen. Bereits am 2. Juli sollen alle bis dahin gesammelten Unterschriften der Bundestagspräsidentin überreicht werden.

Als erste Partei hatten Bündnis 90/Die Grünen schon Anfang 1992 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser weitestgehenste Vorschlag befürwortet die generelle Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft, ein Einbürgerungsrecht nach nur fünfjährigem Aufenthalt in der Bundesrepublik und die Einführung des „ius soli“: Wer in der Bundesrepublik geboren wird, erhält automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Doch dieser Vorschlag wurde am Tag des Asylkompromisses, dem 27. Mai, vom Bundestag verworfen. – Und weil weniger besser ist als nichts haben die Grünen sich jetzt hinter den Gesetzentwurf der Ausländerbeauftragten Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) gestellt. Danach sollen alle Kinder ausländischer Eltern automatisch mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, wenn entweder ein Elternteil hier geboren worden ist oder aber einen verfestigten Aufenthaltsstatus hat. Doppelte Staatsangehörigkeiten sind danach kein Hinderungsgrund mehr für die Einbürgerung, auf die nach acht Jahren ein Anspruch besteht. Treppenwitz am Rande: Die FDP nimmt sich dem Entwurf ihrer Ausländerbeauftragten nicht an, sondern erarbeitet verschämt einen eigenen, hinter den Vorstellungen der Kollegin zurückstehenden Entwurf – der wiederum den Vorstellungen der SPD nahekommt – und überläßt es dem Engagement der Grünen, den Entwurf von Schmalz–Jacobsen auf den Weg zu bringen. So stellte gestern Niedersachsen – auf Initiative des Grünen Jürgen Trittin – im Bundesrat den Antrag, den Gesetzentwurf der Ausländerbeauftragten einzubringen.

Damit gibt es jetzt zwei Entwürfe im Gesetzgebungsverfahren. Bereits am 28. April hatte nämlich die SPD einen von Herta Däubler-Gmelin erarbeiteten Entwurf im Bundestag eingebracht. Danach erhalten Kinder ausländischer Eltern automatisch mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn bereits ein Elternteil hier geboren wurde. Im Unterschied zum Entwurf der Ausländerbeauftragten genügt ein verfestigter Aufenthaltsstatus nicht.

Und der Entwurf der FDP? Der liegt in der Schublade und hat faktisch die Bedeutung einer Arbeitsgrundlage für die Gespräche mit der Union. Die Fraktion scheut, durch schnelles Vorpreschen den Koalitionsfrieden zu gefährden. – Schließlich: Wie wird im Ergebnis ein neues Einbürgerungs- und Staatsangehörigkeitsrecht aussehen? Einziger Konsens besteht darüber, daß die Einbürgerung erleichtert werden soll. Über das wie sind die Differenzen ausgeprägt. Es sei aber eine leicht optimistische Prognose erlaubt. Die Union wird im Ergebnis einer doppelten Staatsangehörigkeit auf Zeit zustimmen. Dann wird sich erfüllen, was der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, bereits vor Wochen prognostizierte: Wenn man erst einmal den Fuß in der Tür hat, erledigt sich der Rest von selbst. Mit anderen Worten: Wenn die Frist nach fünf oder nach acht Jahre abgelaufen ist, könnte das Gesetz noch einmal geändert und die Befristung endgültig fallengelassen werden. Schwieriger wird die Verankerung des ius soli. Zu tief sitzt der blutige Grundsatz, daß deutsch nur ist, wer deutschen Blutes ist. Während SPD und FDP zumindest bei der sogenannten dritten Generation den automatischen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit fordern, will die Union hiervon nichts hören. Äußerstenfalls akzeptiert sie den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit bei der Geburt auf Antrag der Eltern. Das Ergebnis ist zwar das gleiche, Kinder ausländischer Eltern erhielten mit dem Zeitpunkt der Geburt einen deutschen Paß, ideologisch bliebe es aber dabei: wirklich deutsch ist nur, wem deutsches Blut in den Adern fließt. Julia Albrecht

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