piwik no script img

Angriff ohne vorheriges Ultimatum

Der Angriff, der dem Hauptquartier der irakischen Sicherheitsdienste in Bagdad galt, hat nach Augenzeugenberichten zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. Dennoch zeigten die Golfkriegs-Alliierten „Verständnis“.

Es traf die Bewohner des Bagdader Stadtviertels Mansur vollkommen unvorbereitet. In der Nacht zum Sonntag wurden sie durch die Einschläge der 23 amerikanischen Tomahawk-Raketen aus dem Schlaf gerissen, die US- Kriegsschiffe in der Nacht zum Sonntag vom Roten Meer und vom Golf auf das Hauptquartier der irakischen Geheimdienste in Bagdad abfeuerten. Das Gebäude ist nach Berichten aus Bagdad durch die Wucht der Raketeneinschläge fast vollständig eingestürzt. Nach Auskunft des irakischen Zivilschutzes wurden bei dem Angriff mindestens fünf Menschen getötet, darunter die in der arabischen Welt sehr bekannte irakische Malerin Leila Attar. Das Haus der Malerin, das in der Nähe des Geheimdienstgebäudes liegt, wurde nach Angaben von Journalisten völlig zerstört.

Augenzeugen, darunter ein AFP-Fotograf, berichteten, sie hätten Leichen zwischen den Trümmern liegen sehen. CNN berichtete ebenfalls, daß es Opfer unter der Zivilbevölkerung gegeben habe. Eine Korrespondentin der BBC wurde in einem Bagdader Krankenhaus an die Betten von zehn Frauen und Kindern geführt, die zum Teil schwere Verletzungen erlitten haben.

Stunden nach dem Angriff hatte sich eine dichte Staubschicht über das Stadtviertel gelegt. Die Raketen haben auf einem Areal von rund einem Quadratkilometer erhebliche Zerstörungen angerichtet. Zahlreiche Gebäude, darunter mehrere Wohnhäuser, stürzten ein oder wurden stark beschädigt, darunter auch die Botschaft Venezuelas. Einen Überblick über die genaue Zahl der Verletzten und das Ausmaß der Zerstörungen hatte gestern noch niemand.

Katastrophenhelfer hasteten seit dem frühen Sonntag morgen durch die Trümmer, um die Opfer zu bergen und zu versorgen. Bulldozer schoben die zugeschütteten Straßen frei. An manchen Stellen standen verkohlte Autowracks im Wege. Unter den Bewohnern des Viertels herrschte Panik. „Das Bombardement war durch nichts vorherzusehen“, sagte ein Bewohner. Denn diesem Angriff sei, anders als dem im Januar, kein Ultimatum der USA vorausgegangen. Unmittelbar vor dem damaligen US-Angriff, bei dem unter anderem das Al-Rashid-Hotel im Zentrum Bagdads getroffen wurde, sei er, wie viele andere Hauptstadtbewohner auch, aufs Land gereist.

Der nächtliche Raketenangriff der USA auf Bagdad reiht sich für die irakische Propagandamaschinerie nahtlos in die Serie früherer Militärschläge ein, unter denen immer wieder die Zivilbevölkerung leidet. Die ersten irakischen Zeitungen verurteilten bereits gestern Washington und die Vereinten Nationen in einem Atemzug als „Aggressoren“. „Einmal mehr feuern die Feiglinge ihre Raketen der blinden Wut auf das stolze und würdige Bagdad ab“, verkündet El Thaura, die Zeitung der regierenden Baath-Partei. Die UNO werde vom „widerwärtigsten Imperialismus“ gelenkt, zu dessen Instrument sie „durch ihr Schweigen, wenn nicht ihre Mittäterschaft“ geworden sei. Die „Stimme der Jugend“, ein Rundfunksender unter der Leitung von Saddam Husseins ältestem Sohn Udai, strahlte gestern morgen im Anschluß an Informationen über den Raketenangriff Militärmusik und patriotische Lieder aus.

Die Regierung der USA hat den Angriff als „Vergeltungsschlag“ gegen ein angeblich geplantes irakisches Attentat auf den früheren US-Präsidenten George Bush bezeichnet. Bush, der die Golfkriegsallianz gegen den Irak angeführt hatte, hielt sich vom 14. bis zum 16. April zu einem Besuch in Kuwait auf, um eine Ehrung für seine Verdienste um die Verteidigung von Kuwait in Empfang zu nehmen. Unmittelbar vor seinem Eintreffen hatte die kuwaitische Polizei am 13. April mehrere Kuwaiter und Iraker unter dem Vorwurf verhaftet, ein Bombenattentat auf George Bush geplant zu haben. Anfang Juni erfolgte die Anklageerhebung, der Prozeß war auf den 26. Juni vertagt worden.

In die Ermittlungen hatte sich sehr bald die US-Bundespolizei FBI eingeschaltet. Am Mittwoch letzter Woche hatten amerikanische Regierungsberater US-Präsident Bill Clinton einen Bericht des FBI und anderer Geheimdienststellen über die Ergebnisse der amerikanischen Ermittlungen in Kuwait präsentiert: Danach verfügen die Amerikaner über Beweise, daß die irakische Regierung für die Planung des gescheiterten Attentats auf Bush verantwortlich zeichne. Einen Tag später hatten Generalstaatsanwalt Janet Reno und der CIA-Chef R. James Woolsey dem US-Präsidenten dann ihre Berichte im Detail vorgetragen.

Unter dem Eindruck der vorgelegten Beweise hatte Clinton den Angriff für Freitag angeordnet, der jedoch nach Auskunft von US-Regierungsbeamten wegen des islamischen Feiertages auf Samstag nacht verschoben wurde. „Etwa ein Dutzend alliierte und befreundete Staaten“ seien vorab über den geplanten Angriff informiert worden, erklärte ein Beamter – darunter auch Israel. Clinton habe die Nacht für den Angriff gewählt, damit es möglichst wenig Opfer gebe, so der Beamte.

Die internationalen Reaktionen auf den US-Angriff rufen die Allianzen in der Zeit des Golfkrieges erneut in Erinnerung, auch wenn die Stellungnahmen der einstigen arabischen Golfkriegsgegner des Irak wenig euphorisch ausgefallen sind. Während die Regierungen Israels, Großbritanniens, Frankreichs und Rußlands „Verständnis“ für den amerikanischen Angriff äußerten, zeigte sich die ägyptische Regierung zurückhaltend: „Es wäre wünschenswert, wenn die amerikanische Reaktion in Bosnien-Herzegowina ebenso hart ausgefallen wäre, wie im Irak“, erklärte Ägyptens Außenminister Amre Moussa gestern. Nina Corsten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen