No Porno, but 70s

■ Perry Farrells Porno for Pyros am 4. Juli im Docks

Perry Farrell. Die Licht- und Schattengestalt. Hofnarr, Philosoph und Premierminister des Alternativ-Rock. Pop. Hop. Er ist schuld. Daß aus Privatem Öffentliches wurde, aus Clubs Hallen, aus Nischen Ein- und Abflugschneisen. Seine Schuld. Alle Übel der MTV-Zeit. Der 70er-Jahre-Overkill. Da sitzt er, der kleine spindeldürre Jude mit 3 mm Haaren und großnasigem Vogelgesicht und will doch nur Gutes. Das ist ja das Schlimme, dieses Schuldverhältnis, wie Einstein und die Atombombe. Was Farrell getan hat? Eine Band hat er gehabt, Jane's Addiction, die ihren kantigen, bunten, schrill-psychedelischen 70er-Rock-Aufguß so schmackhaft, so rundum-ästhetisiert darbot, daß alle naschen wollten. Und dann trommelte der damals nasenberingte dreadlockige Ziegenbart in seinem missionarischen Eifer die anderen leckeren US- Schwellenbands mit Underground-Touch zur regelmäßigen Festival-Tour zusammen; Soundgarden und Pearl Jam, Red Hot Chili Peppers, Ministry, Ice-T, Ice Cube, Henry Rollins usf.

Dieses „Lollapalooza“ genannte Spektakel, angereichert durch Kleinkunst und wässerige Ausdrücke politischer Dissidenz, war und ist ein gewaltiger Erfolg und der Ansatz für alle falschen Klammern, die darum gesetzt wurden, Moden, Formeln, etc. Doch so, wie seit vier Jahren immer wieder aus dem Milchkrug der neuen „unabhängigen“ Musik der Lollapalooza-Rahm geschöpft wird, ruht sich Farrell auch im engeren Betätigungsfeld nicht aus: als Jane's Addiction eine sichere Bank wurde, verlor er Haare und Interesse und ging zurück auf Los. Diesmal mit einem freundlichen 70er-Jahre-Aufguß, etwas kauzig, bunt und psychdelisch, weniger kantig, dafür mehr poppig. Hier das Protokoll eines kurzen Austausches mit Farrell und seinem überkandidelten Gitarristen Peter diStefano.

Farrell: Hast du Hasch dabei?

Taz: Mist, vergessen.

diStefano: Gestern nacht war ich so depressiv, doch ich habe mich von all dem Schmerz erlöst, mit meiner rechten Hand.

Farrell: Du hast den Teufel ausgetrieben!

Taz: Porno, For Pyros?

Farrell: Was mich an dem Namen am meisten berührt, ist der Gedanke an einen Menschen, der nach der Arbeit müde nach Hause geht. Dann sieht er im Dunkeln die rote Leuchtschrift: Porno for Pyros - und sein Herz schlägt schneller.

Taz: Musikalisch suche ich jedoch vergeblich nach dem schnellen Herzschlag - im Vergleich zu Jane's Addiction ist Porno For Pyros viel runder und gemäßigter.

Farre ll: Was mir an heutiger Musik oftmals aufstößt, ist der Stellenwert der Produktion. Ein Gitarrenklang, eine nach vorne gemischte Snare-Drum und aus Nichts wird scheinbar wütende, energische Musik. Ich möchte mit Porno For Pyros in andere Bereiche vorstoßen, eine subtilere Sprache sprechen, ohne auf Inspiration und Frische zu verzichten. Und ich habe einen Weg gefunden, mich im Mid-Tempobereich auszudrücken, was musikalisch wohl der schwierigste Standpunkt sein dürfte. Aggression nicht gleich Geschwindigkeit und Geschrei, Sentimentalität nicht gleich Ruhe und Harmonie setzen.

So denn wohl auch im Docks: statt Porno und Pyros nur nackte Oberkörper und Knallfrösche.

Fragen: Holger in't Veld