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Anspruch auf angstfreie Ferien

■ betr.: "Konflikt um die "Story Dealer AG", taz vom 15.6.93

betr.: Konflikt um die „Story Dealer AG“, taz vom 15.6.

In einer Zeit, in der den Kindern und Jugendlichen immer mehr die Perspektive für ihre weiteres Leben verbaut wird, in der ihr Bewegungs- und Lebensraum immer mehr eingeschränkt wird, in der sie nur noch für Werbestrategen als spätere Konsumenten interessant sind, hat die Pädagogik eine ganz besondere Aufgabe. Natürlich kann keine Pädagogik der Welt die objektiven gesellschaftlichen Bedingungen verändern, die Ursache für Fehlverhalten von Heranwachsenden sind. Aber sie kann durchaus helfen, die Lebenssituation von Jugendlichen zu verbessern. [...] Die Reformpädagogen der zwanziger Jahre um den Protagonisten Hahn haben bereits Methoden und Modelle entwickelt, auf denen die Erlebnispädagogik heute aufbaut. Inzwischen gibt es heute überall beachtliche Projekte und zahlreiche erfolgreiche Erfahrungen mit der Erlebnispädagogik. [...] Prof. Dr. Heinrich Kupffer wehrt die Kritik an der pädagogisch unverantwortlichen Vorgehensweise der „Story Dealer“ damit ab, daß er feststellt, daß es keine wahre Erlebnispädagogik gäbe, die genau die gewünschten psychischen Wirkungen hervorzaubert, und verweist kurzerhand auf Diktaturen. Erlebnispädagogik erhebt an keiner Stelle den Anspruch, irgendwelche psychischen Wirkungen hervorzuzaubern. Diesen Anspruch verknüpfen vielmehr die „Story Dealer“ mit ihrem gemeinen Manipulationen und Inszenierungen, die die Kinder nicht als mitplanende und mitentscheidende Subjekte behandeln, sondern als Objekte zur Umsetzung ihrer perversen Stories. Erlebnispädagogik, wie jede andere humanistische Methode auch, setzt sich nämlich Regeln, die den Menschen als Individuum ehren und an keiner Stelle erlauben, seine Persönlichkeit und seine Würde zu manipulieren und zu verletzen. Deshalb hat Eberhard Schwartz recht, wenn er bei den „Story Dealern“ von „Lügenpädagogik“ spricht, wenn er Vergleiche zu den Pawlowschen Versuchen zieht und wenn er feststellt, daß dieser machtbesessene Humbug nichts mit einem erlebnispädagogischen Ansatz zu tun hat. [...] Renate Schuster

[...] Die Reisen der „Story Dealer“ haben meines Erachtens nichts mit Pädagogik zu tun. Es waren Abenteuer- und Phantasieveranstaltungen, wie sie für gelangweilte Erwachsene unter dem Begriff „Survivaltraining“ bekannt sind. Das Selbstverständnis der „Story Dealer“ ist auch das von Drehbuchautoren, Regisseuren und Schauspielern. Dies wurde deutlich auf der öffentlichen Sitzung des Jugendhilfeausschusses Kreuzberg, bei der sie jede pädagogische Auseinandersetzung ablehnten und keinerlei Bereitschaft zeigten, die problematischen Aspekte ihrer Reisen zu hinterfragen. Zu den Ausführungen des Erziehungswissenschaftlers Prof. Dr. Kupffer:

1. Es ist unverantwortlich und in der Tat menschenverachtend, mit der Angst von Kindern so lässig umzugehen. Gerade weil die Kinder eben nicht in einer heilen und angstfreien Welt aufwachsen, muß Pädagogik nicht neue Ängste durch konstruierte Wirklichkeiten schaffen, sondern dazu beitragen, Kinder zu selbstbewußten statt zu verängstigten Menschen werden zu lassen.

2. Das bis ins Detail festgeschriebene Programm der dreiwöchigen Reisen läßt keinerlei Gestaltungs- und Mitbestimmungsraum für die Kinder zu. Denn die ganze Mühe und Vorbereitung der „Story Dealer“ wäre ja umsonst gewesen, wenn die Kinder bei den Vollversammlungen anders als im „Drehbuch“ festgelegt abgestimmt und entschieden hätten. Diese Vorweg-Festschreibung von Abstimmungsergebnissen ist in höchstem Maße manipulierend und totalitär. Reformpädagogik ist aber grundsätzlich demokratisch definiert.

3. Es gibt überhaupt keinen pädagogischen Grund, Kinder über drei Wochen in einer konstruierten und erlogenen „Wirklichkeit“ zu lassen. Es spricht für das mangelnde Verständnis der „Story Dealer“ und Herrn Prof. Dr. Kupffer für die Seelen von Kindern, wenn sie dies für die Durchführung einer „Spielidee“ für notwendig erachten. Die kindliche Phantasie ist so flexibel, daß ein spontanes Wechseln von Realität und Rollenspiel durchaus richtig ist. [...]

Timm Lehmann, Mitarbeiter des

Bund Deutscher PfadfinderIn-

nen Alte Feuerwache e.V.

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