■ Die ARD will Wahlspots aus den Programmen werfen: Spätentwickler
Erst nach den rassistischen Morden von Solingen war es möglich: Türkische Mitarbeiter der ARD-Anstalten kamen verstärkt mit Nachrichtenfilmen ins Erste, die Schirmherren der „tagesthemen“ kommentierten so links wie nie (Bednarz, Hafner, Pleitgen), und nun fordern die versammelten öffentlich-rechtlichen Oberhäupter, daß die Pflicht, Wahlspots auszustrahlen, aus den Mediengesetzen gestrichen wird. „Unerträglich“ geworden ist ihnen der gerichtlich vielfach bestätigte Zwang, auch rechtsradikale und ausländerfeindliche Agitation zu versenden.
Spät, aber doch noch schlug das Gewissen der ARD-Chefs; sie rangen sich zur zweiten Initiative gegen Wahlwerbung (nach der erfolglosen von 1989) durch. Endlich.
Ernsthaft mit dieser gemeinsamen Aktion gerechnet hatte niemand. Denn die Parteipolitiker mauerten schon nach den ersten Äußerungen des NDR-Intendanten Jobst Plog parteiübergreifend. Sogar Konrad Weiß vom Bündnis 90 bezeichnete die zumeist inhaltlosen Heile-Welt-Spots der Etablierten ernsthaft als eine notwendige „Informationsquelle“ für Bürger, die nicht Zeitung lesen.
Jetzt sind Ministerpräsidenten gefragt. Sie müßten gegen das Interesse ihrer eigenen Parteien entscheiden und die Mediengesetze ändern. Ihrem Gewissen werden sie wohl noch etwas Zeit geben: Das „Superwahljahr“ 1994 steht vor der Tür, und die Werbeverträge der Parteien mit den Spotagenturen dürften nur unter hohen Verlusten zu kündigen sein.
Jenseits der Chefebenen zeigten RundfunkmitarbeiterInnen wie die NDR-Redaktionsassistentin Astrid Dieckmann-Schrader schon länger Zivilcourage. Sie legte zum Beispiel Bänder mit „Republikaner“- oder FAP-Werbung nicht auf die Tonbandmaschine und wurde abgemahnt. Vor Gericht wurde aus ihrem mutigen Schritt „Arbeitsverweigerung“ und aus ihrer Gewissensnot „Protest mit Pensionsberechtigung“. Der NDR mahnte ab.
Fragt sich, warum denn nicht einer oder mehrere der pensionsberechtigten Intendanten der ARD längst schon einmal einfach die Arbeit verweigert haben? Angeblich war ihnen die rechte Propaganda ja lange schon zuwider. Aber vielleicht heben sich die Senderchefs ja ihren Streik für das „Superwahljahr“ auf.
Immerhin: Der erste Schritt ist getan; indirekt dürfte die in der Öffentlichkeit umstrittene Abmahnung der NDR-Mitarbeiterin Dieckmann-Schrader zu der Initiative von NDR-Intendant Jobst Plog geführt haben. Hans-Hermann Kotte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen