: Vereinigung paranoider Menschen?
Der Schweizer Journalist Hugo Stamm schrieb ein Buch über den „Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“ (VPM) und wurde dafür als „Kriegstreiber“ und „Schreibtischmörder“ angegriffen ■ Von Ulla Schremp
Wußten Sie schon, daß „Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert ein RAF-Anhänger ist? Daß die feministische Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch im Kindergarten eine Erziehung fördern will, die „Diktatorinnen“ hervorbringt, „die den Männern des Dritten Reiches in keiner Weise nachstehen werden“? Daß sich der US-amerikanische Ex-Hippie Jerry Rubin, der Züricher Psychiater Emilio Modeno, der Philosoph Herbert Marcuse und der inzwischen verstorbene Schweizer Buchhändler Theodor Pinkus zwecks Revolution auf internationaler Ebene verschworen haben?
Daß diese und andere „68er“ nun Randgruppen wie Fixer, Obdachlose und Huren zur neuen revolutionären Klasse machen wollen: „Die Neue Linke verfolgte von Anfang an eine neuartige Klassenkampfstrategie, um ihr gesellschaftspolitisches Ziel zu erreichen, nämlich die Drogensüchtigen als Mobilisierungspotential für den gesellschaftlichen Umsturz einzusetzen, um anschließend als Utopie eine enthemmte Gesellschaft zu erreichen mit freiem Zugang zu Rauschgift, pervertiertem Sex und entfesselter Gewalt.“?
Das alles wußten Sie noch nicht? Dann wird es höchste Zeit, daß Sie dem „Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“ beitreten, der, wie der Name schon sagt, erstaunliche Erkenntnisse zutage fördert. Wenn Sie in einer deutschen Universitätsstadt wohnen, dürfte es kein Problem sein, mit dem 1986 in Zürich gegründeten und mehrere tausend Mitglieder umfassenden VPM in Kontakt zu treten, hat er doch schon fast überall seine Zweigstellen, wenn auch manchmal unter anderen, harmlos klingenden Namen geschickt getarnt.
Sie wollen das alles nicht glauben? Sie können sich das alles überhaupt nicht vorstellen? Ulrich Wickert wurde von VPM-Sympathisanten auf einem Flugblatt als RAF-Anhänger dargestellt, der „öffentlich seine Sympathie für den Terrorismus der RAF“ bekundet habe, weil er Anfang 1992 einen kritischen Film des Süddeutschen Rundfunks über die aggressive Psychogruppierung moderiert hatte. Luise Pusch schloß 1991 wegen eines Vortrags vor der Zürcher Kantonalen Kindergärtnerinnenkonferenz Bekanntschaft mit dem VPM.Diese und viele andere Beispiele für den von paranoidem Verfolgungswahn gezeichneten Wahrnehmungsverlust der VPM- Mitglieder hat der Züricher Tagesanzeiger-Journalist Hugo Stamm in seinem neuen Buch „VPM – Die Seelenfalle“ zusammengetragen. Eine mutige Tat, denn der VPM- Spezialist Stamm wußte nur zu genau, daß er dafür als nächster ins Visier geraten würde: Fast alle, die es gewagt haben, unter ihrem Namen öffentlich an den ewigen Wahrheiten des VPM zu zweifeln, wurden mit Prozessen überzogen oder mit Drohungen eingeschüchtert. Selbst Leserbriefschreiber wurden laut Hugo Stamm vor den Kadi gezerrt, und besonders erbarmungslos versuchte der VPM gegen ehemalige Mitglieder vorzugehen, die als Kritiker auftraten: Seine Klage gegen den als Aufklärer wirkenden Verein „Psychostroika“ beispielsweise umfaßte „rund 1.800 Zeugen“.
Journalist Stamm mußte denn auch nicht lange auf Reaktionen warten: Kaum war sein Buch ausgeliefert und im VPM-skandalerschütterten Zürich binnen kurzem ausverkauft, wurden seine Bewohner mit Flugblättern überschwemmt, auf denen der Tages- Anzeiger als Beispiel für „Medienfaschismus“, „Killer-Medien“ und „Kriegstreiber in der Kampagne gegen unbescholtene Bürger“ dargestellt und der Autor mit Kosenamen wie „Schreibtischmörder“ bedacht wurde. „Goebbels und Stalin“, so der VPM in einer Pressemitteilung zu dieser „Volksverhetzung“, „könnten vor Neid erblassen.“ „Manches gemahnt“, heißt es in einer besonders geschmackvollen Formulierung am Ende eines der Flugblätter, „an den Reichstagsbrand vor 60 Jahren, der als Begründung für Weiteres herhalten mußte ...“
Als Begründung für Weiteres muß eben auch die Parallele zum Holocaust herhalten, wenn der VPM mal wieder seine Märtyrerrolle in seinem aufopfernden Kampf gegen „Linksfaschisten“, Feministinnen, Homosexuelle, Gestaltpädagogen, Aids und Drogensucht betonen will. Hugo Stamm braucht hier nur aus dem Buch „Der VPM – was er wirklich ist“ zu zitieren: „Die schon vor der nationalsozialistischen Herrschaft durch Schlägertrupps initiierten Gewalttätigkeiten gegen Juden gipfelten 1938 in (...) der sogenannten Reichskristallnacht. (...) Noch gibt es gegen den VPM keine systematisch organisierten Ausschreitungen. Die Hetzstimmung jedoch wird immer beängstigender, und erste Anzeichen einer Volksjustiz werden deutlich.“
Diese kleine Zitatensammlung mag fürs erste als Warnung vor dem VPM als Vereinigung Paranoider Menschen genügen. Wer sich näher mit seiner auf die „Züricher Schule“ Friedrich Lieblings zurückgehende Geschichte, seiner Struktur und seinen Skandalen befassen will, dem sei Hugo Stamms Buch dringend empfohlen, denn eine vergleichbar umfassende und gut recherchierte Darstellung gibt es auf dem deutschen Buchmarkt nicht.
Wie denn überhaupt die Aggressivität und Gefährlichkeit des VPM hierzulande noch kräftig unterschätzt wird. „Im Vergleich zur Schweiz sind die deutschen (Orts-)Gruppen klar auf Erfolgskurs“, so die schlechte Nachricht des Buchautors. Seine gute: In Stamms Heimatland, wo der VPM wegen seines maßlosen Auftretens seit Monaten aus den Schlagzeilen nicht mehr herauskommt, mögen selbst die konservativsten Vertreter von Politik und Presse mit ihm nichts mehr zu tun haben.
Hugo Stamm: „VPM - Die Seelenfalle · ,Psychologische Menschenkenntnis‘ als Heilsprogramm“, Werd-Verlag Tages-Anzeiger, Zürich 1993, 224 Seiten, 37 Mark
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