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„Finanzielle Unordnung“ in China

■ Ermittlungen gegen Beamte und Unternehmer / Zentralbankchef abgesetzt

Peking (dpa) – Zwei Betrugsfälle in Milliardenhöhe haben die Schwächen chinesischer Aufsichtsbehörden und die Risiken für Anleger offengelegt. Kontrolle und Vorschriften können mit der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung des Landes offenbar nicht Schritt halten. Aus der Kommunistischen Partei verlautete zugleich, daß die Korruption „schlimme Ausmaße“ angenommen hat. Nach Hongkonger Berichten laufen Ermittlungen gegen mehr als 100 Regierungsbeamte, die in einen der beiden Finanzskandale verwickelt sein sollen.

Es geht um Anleihen in Höhe von einer Milliarde Yuan (285 Mio. DM), die der findige Unternehmer Shen Taifu mit dem Versprechen hoher Zinsen für sein Unternehmen Changcheng (Große Mauer) herausgegeben hatte. Innerhalb weniger Monate fand er mehr als 100.000 Investoren.

Ende März fror die Zentralbank seine Konten mit der Begründung ein, er habe keine Genehmigung dafür gehabt. Shen Taifu wurde noch am selben Abend festgenommen, angeblich weil er auch seine Anleger betrogen haben soll. Das Unternehmen wird nun aufgelöst. Den Investoren wurden 50 oder 60 Prozent ihrer Einlagen versprochen.

Hunderte von ihnen protestierten an der Firmenzentrale und beschuldigten Regierungsbeamte der Komplizenschaft. Denn die Hintergründe des Skandals sind mysteriös, was Spekulationen Nahrung gab, er könnte bis in hohe Regierungsstellen reichen. Nach Hongkonger Berichten wurde der Vizeminister der staatlichen Wissenschafts- und Technologiekommission, Li Xiaoshi, festgenommen, weil er angeblich 200.000 Yuan angenommen habe, um den Investmentplan zu genehmigen. Kopien dieser Lizenz hielten verzweifelte Opfer des Finanzskandals in der Hand, als sie vor dem Unternehmenssitz demonstrierten.

Auch das KP-Organ „Volkszeitung“ steht im Schußfeld der Kritik, weil es die Firma als gute Anlagemöglichkeit gelobt hatte. „Wir haben der Regierung geglaubt. Wir haben dem Parteiorgan geglaubt. Sie müssen Verantwortung übernehmen“, klagen nun Bürger, die ihr Geld zurückhaben wollen. Angeblich wird auch gegen Journalisten ermittelt.

Wie schwach die Kontrolle ist, zeigt das Ausmaß, in dem private oder staatliche Unternehmen und auch regionale Behörden an Banken vorbei selbst Anleihen ausgeben. Nach seriösen Schätzungen sind so rund 200 Milliarden Yuan (57 Mrd. DM) Kapital aufgetrieben worden. „Hier herrscht finanzielle Unordnung“, kommentierte der westliche Finanzexperte. Obwohl die Regierung beteuert, dem Treiben ein Ende zu bereiten: „Sie wollen die Gans nicht schlachten, die goldene Eier legt.“

Wie leicht Vorschriften umgangen werden, zeigt auch der zweite Finanzskandal, in dem der Leiter der Landwirtschaftsbank in Hebei 200 übertragbare Kreditbriefe im Wert von zehn Milliarden Dollar zugunsten einer Investmentfirma auf den Bahamas ausstellte. Ihm diente dazu ein Akkreditiv einer „United National Bank of Russia“, die aber – wie sich herausstellte – gar nicht existiert.

Die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua meldete gestern, daß der Ständige Ausschuß des Nationalen Volkskongresses nun den bisherigen Chef der Zentralbank, Li Guixian, wegen der ausufernden Finanzprobleme abgesetzt hat.

Der erste stellvertretende Ministerpräsident Chinas, Zhu Rongji, der als „Wirtschaftszar“ und führender Politiker hinter dem herzkranken Ministerpräsidenten Li Peng gilt, wurde zum neuen Chef ernannt. Als Grund für den Rücktritt des Zentralbankchefs wurde außer mangelnder Kontrolle des Finanzsystems auch ausdrücklich der Skandal um das Unternehmen Changcheng (Große Mauer) genannt.

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