: Die Welt als Mosaikengarten
■ Kunstpromenade in Vegesack: Arbeiten einer interkulturellen Mosaikwerkstatt werden im Stadtgarten an der Weser installiert
Die Bewegung der Tempeltänzerin ist auf dem Mosaik deutlich zu erkennen. Auch ihre zierlichen goldenen Armreifen. Rasiah Alli Rany, 50 Jahre, Lehrerin, hat extra eine Untertasse mit Goldrand zerschlagen. Rasiah Alli Rany, nach Bremen geflohene Tamilin, hat ein lebendiges Vorbild: ihre 16jährige Tochter Bala Gowry ist Tempeltänzerin. Sie lebt mit ihrer Familie in der Grohner Düne in Vegesack. Mutter und Tochter haben gemeinsam an der Mosaikwerkstatt teilgenommen, die im Herbst 1991 im leerstehenden Güterschuppen am Vegesacker Bahnhof stattgefunden hat.
140 Menschen aus 10 Nationen, im Alter von 4 bis 73, die meisten ebenfalls BewohnerInnen des Wohnsilos „Grohner Düne“, schufen in dieser Werkstatt 260 Mosaiken. Im Dezember 1991 wurden die teilweise quadratmetergroßen Betonplatten der Öffentlichkeit präsentiert — mit riesigem Erfolg. Seitdem ist klar: Die Mosaiken sollen nicht in der Versenkung oder in den Hausfluren der Grohner Düne verschwinden. Sie sollen mit all ihren Fabelwesen und Masken, Blumen und abstrakten Kompositionen der Öffentlichkeit erhalten bleiben. Bloß wo?
An der Standortsuche waren viele beteiligt: Ortsamt und Gartenbauamt, die Mosaikwerkstatt selber, der Stadtgartenverein, das Referat „Kunst im Öffentlichen Raum“ und einige Vereine. Jetzt steht endlich fest: Die Mosaiken sollen im historischen Vegesacker Stadtgarten an der Weser ihren Platz finden.
Auch das „Wie“ ist geklärt: Vor zwei Wochen erhielten die Künstler Jörg Rennert, Manfred Hinken und Stephan von Borstel den Zuschlag für ihren Entwurf einer Präsentation. Nun beginnt die Realisierung. Für Mitte Oktober ist die Einweihung geplant.
Dann wird, wer an der Weser entlang von der „Strandlust“ zur „Vulkan“-Werft promeniert, auf die bunten Zeugnisse dreier interkultureller Werkstatt-Monate treffen. Um den schilfumwachsenen Teich herum werden etliche Tiermotive versammelt
Mosaikenprojekt: Köstliches Scherbengericht, aufgetischt von Christian HasselmannFotos: Gedenk
sein: vielleicht der Schwan der Tempeltänzerin, die Schildkröte der beiden Neunjährigen Georgina Aktan und Meltem Yilmas oder das „Nilpferd-Dancing“ von Jens-Ulrich Hoffmann.
Der versiegte Wunschbrunnen einige Meter weiter, mit dem fast jede Bremen-NorderIn eine Geschichte verbindet, soll eigens saniert werden. Ihn soll künftig ein Ring vielleicht mystischer Mosaike umrahmen. Vielleicht „Feuer-“ und „Wasserteufel“ von Özgür Culaci?
Doch einiges wird sicher erst während der Installations-Arbeiten seinen endgültigen Platz finden, obwohl die Künstler bereits ganz konkrete Vorstellungen für einzelne Werke haben. Zigmal haben sie die schweren Betonplatten hin- und hergewendet, bis aus dem Gefühl für das vorhandene Material und die Idylle des Flaniergartens ihre Idee Formen annahm.
Die Masken zum Beispiel werden in speziell angefertigte Stahlgestelle montiert, um sie dann — totempfahlähnlich — zu den hochaufstrebenden Silberpappeln hinter dem Brunnen zu gesellen: Tina Ketelsens „Hausgeist“ etwa, oder ihr „Badezimmergesicht“. Auch Mira Donats „Roboterface“ oder Christian Hasselmanns „Hollywood“ könnten dort einen Platz finden.
Auch die riesigen „Strahlen für eine Sonnenuhr“ werden gebührend präsentiert. Der Bremer Künstler Rainer Roland (an
der Mosaikwerkstatt als Kulturpädagoge beteiligt) hat sie mit Spielhaus-Kindern angefertigt. Sie sollen am Wegesrand liegen — leicht erhöht, um so in die Wiese und zu anderen Mosaiken zu weisen. Etliche Arbeiten werden auch wie Blumen in Stahlgestänge integriert. Und den Eingang zu diesem Mosaikengarten wird das Picasso-Motiv einer internationalen Frauengruppe bilden: die vier Rassen, in den vier Farben, in allen vier Himmelsrichtungen und rund um die Friedenstaube.
75.000 Mark läßt sich Bremen die sehr durchdachte Installation im Stadtgarten kosten. Die Trüpel-Millionen aus dem Ressort „Kultur und Ausländerintegration“ machen es trotz leerer Kassen möglich. Ein großer Erfolg — wenn man bedenkt, daß die Kulturpädagogin Sabine Gedenk ein Jahr hartnäckig Klinken putzen mußte, um für ihre Idee einer offenen Werkstattarbeit mit Mosaiken einen Raum zu finden.
Die Werkstattphase mußte dann auch unter schwersten Bedingungen stattfinden: ohne Lampen, ohne Heizung in eisiger Kälte. Das Wasser für den Zement schleppten TeilnehmerInnen kübelweise herbei oder fingen es aus Regenrinnen auf. Das Material war dagegen umso exzellenter: „Villeroy & Boch“ stiftete, von der Idee begeistert, lasterweise Mosaikmaterial — frostfest und lichtecht. Die Firma
hierhin bitte das
Foto mit dem Mosaik
lud die Beteiligten auch zwei Tage lang in ihre eigene Mosaikwerkstatt in der Nähe von Trier ein und verriet einige Techniken und Tricks.
Mit Amboß, Hammer und Zange in der Hand fanden sie im Lauf der Zeit zur gemeinsamen Sprache. Auch Hafenarbeiter, Akademiker und Analphabeten hatten mitgemacht. Und alte VegesackerInnen kamen, vielleicht weil hier an die Tradition der Grohner Fliesenfabrik angeknüpft wurde.
„Es freut mich ganz besonders, daß die Arbeiten an historischer Stelle, dort wo auch die Dünen-Bewohner spazierengehen,
aufgestellt werden“, sagt Sabine Gedenk. Als sie 1990 inmitten der Grohner Düne nach einem künstlerischen Medium für dieses interaktive Projekt gesucht hatte, war ihr das Mosaik eingefallen. Nicht nur, weil Mosaike in vielen Kulturen eine lange Tradition haben, sondern auch, weil die menschenfeindliche Architektur der Grohner Düne sie daran erinnerte, daß hier unterschiedlichste Menschen wie in Zement verschluckt scheinen: „Die ganze Welt ist hier versammelt, scheinbar zusammenhanglos — wie ein Scherbenhaufen von Traditionen.“ Birgitt Rambalski
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