: Desinformation auf der ganzen Linie
■ Politiker aller Parteien kritisieren von Stahl wegen seiner widersprüchlichen Aussagen zum Einsatz in Bad Kleinen
Berlin (dpa/taz) – Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, der in der letzten Woche vor dem Rechts- und Innenausschuß wie auch vor den Medien verschiedene widersprüchliche Darstellungen über die Festnahmeaktion in Bad Kleinen abgab, hat am Wochenende versucht, den Schwarzen Peter an den Chef des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert, weiterzuschieben.
Das BKA habe ihn falsch und zu spät informiert. Den von SPD-Politikern geforderten Rücktritt lehnte von Stahl ab. Der Karlsruher Behördenleiter, nun auch in der Kritik aus Unionskreisen, erklärte, er sei wohl nicht „absichtlich im dunkeln“ gehalten worden.
Dennoch habe das BKA ihm am vergangenen Montag fälschlicherweise mitgeteilt, daß Birgit Hogefeld das Feuer eröffnet hätte. Auch über den Ort des Schußwechsels sei er falsch informiert worden. Er habe nur die Fakten wiedergeben können, die ihm seitens des BKA übermittelt worden seien: „Und die wurden halt im Lauf der Zeit korrigiert.“
Der Generalbundesanwalt ist vor allem aus SPD-Kreisen mehrfach zum Rücktritt aufgefordert worden. Der SPD-Innenexperte Wilfried Penner hat darüber hinaus den Rücktritt von Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) gefordert, falls ein „Angehöriger einer dem Minister unterstellten Sicherheitsbehörde so etwas wie Lynchjustiz“ begangen habe.
Die SPD-Innenpolitikerin Cornelie Sonntag sprach gestern von einem „Desaster“ für die innere Sicherheit.
Sie forderte eine umfassende Offenlegung des Polizeieinsatzes, da menschliches Versagen der Beamten für den Rechtsstaat eher zu verkraften sei als der Eindruck, es solle etwas vertuscht werden.
Von Stahl solle von seiner „vernebelnden und beschönigenden Informationspolitik abrücken“ und unverzüglich darlegen, was er über die Vorgänge erfahren und bisher verschwiegen habe. Auch Seiters müsse seine politische Verantwortung wahrnehmen und alle Fakten auf den Tisch legen.
Auch führende Unionspolitiker haben von Stahl inzwischen scharf kritisiert. Zu den Rücktrittsforderungen aus der SPD sagte der Vizechef der Bonner Unionsfraktion, Johannes Gerster, in einem Interview: „Wenn von Stahl sein Verhalten nicht grundlegend ändert, kann er sich bald einen neuen Job suchen.“ Der Generalbundesanwalt sei aufgetreten wie „ein schlechter Entertainer“. Der Vorsitzende des Bundestagsrechtsausschusses, Horst Eylmann (CDU), nannte von Stahls Verhalten ebenso „falsch“.
Jetzt müsse „lückenlos die Wahrheit auf den Tisch, auch wenn man dabei Fehler bekennen muß“. Für die CSU erklärte deren Generalsekretär Erwin Huber, von Stahl habe „der Glaubwürdigkeit dieses wichtigen Amtes“ geschadet.
Der stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Lüder (FDP), forderte Seiters auf, „sein Haus in Ordnung zu bringen“. Es stelle sich die Frage, „wer hat bis wann wen gedeckt“ habe. Er sei gespannt, so Lüder in einem Interview, wer Ende dieser Woche „noch auf seinen Stühlen sitze“. Die Verantwortung für den Zugriff trage allein der Innenminister, sagte auch er FDP-Politiker Jörg van Essen.
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