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Knallhartes Häschen-Geschäft

■ Täglich, automatisch: Der Computer mixt 40 Tonnen Zucker und 22 Tonnen Kakao, und es entstehen Mäuschen und Häschen, Elche und Rentiere

Der Gegensatz könnte größer kaum sein: Draußen scheint die Sonne und füllen sich die Freibäder, drinnen strahlen Nikoläuse und fahren Schlitten im Schnee – im Sommer läuft in der Pea-Schokoladenfabrik die Produktion von weihnachtlichen Süßigkeiten auf Hochtouren. In diesem Jahr feiert die traditionsreiche Firma mit Sitz in Norderstedt vor den Toren Hamburgs ihr 150jähriges Jubiläum. Aber ihre Bekanntheit verdankt sie nicht profaner Schokolade, sondern der Erfindung des schokoladegefüllten Adventskalenders vor rund 55 Jahren.

Als „reizender Geschenkartikel für Kinder“ wurde der Kalender 1938 noch ein wenig hausbacken angepriesen – heute ist die Firma bei einem Umsatz von insgesamt 350 Millionen Mark auf diesem Gebiet Marktführer und produziert zwölf Millionen Stück im Jahr, von denen rund die Hälfte in den Export geht. Ein Knüller vor allem in den USA: „Früher gab es die Kalender nur in den sogenannten ,Heimweh-shops', inzwischen bieten wir sie in Nordamerika im großen Stil an“, sagt Marketing-Leiter Jörg Stelter stolz. Eine Vielzahl von Grafikern sind das ganze Jahr ausschließlich damit beschäftigt, die neue Kalender-Kollektion zu entwerfen: Je mehr Häschen, Elche, Mäuschen und Rentiere durch die winterlichen Landschaften toben, desto besser verkaufen sich die Kalender.

Ganz im Gegensatz zu lieblichen Verpackungsmotiven steht die Produktion der Schokolade selbst: Vollautomatisch und hochtechnisiert werden bei Pea täglich 40 Tonnen Zucker, 6 000 Kilo Milchpulver, 22 Tonnen Kakaomasse und andere Rohstoffe zu Schokolade verarbeitet. Ein Computer mischt unter rund 30 feststehenden Rezepturen die benötigte Masse. Große Walzen mahlen die Schokolade so fein, bis sie ihre zunächst sandige Konsistenz verliert. Danach wird sie 24 Stunden lang entfeuchtet und schließlich über Rohrleitungen in riesige Behälter gepumpt. Bis sie in Tafeln gepreßt und säuberlich in Stanniolpapier verpackt ist, ist kaum einer der insgesamt rund 1 000 Pea-Beschäftigten direkt am Produktionsprozeß beteiligt.

Insgesamt produziert das Unternehmen, das rund 100 Millionen Mark in seinen Norderstedter Firmensitz investierte, 35.000 Tonnen Naschwerk im Jahr. Ein Drittel geht während des sogenannten Saisongeschäfts zu Weihnachten und Ostern über die Ladentresen, der Rest wird über das Jahr hinweg vermarktet. Ein knallhartes Geschäft. Immerhin müssen sich 285 deutsche Herstellerbetriebe, die 1992 ein Gesamtvolumen von etwa 2,7 Millionen Tonnen Süßwaren produzierten, in der süßen Branche behaupten. Stelter: „Vor allem bei Tafelschokolade herrscht ein gnadenloser Wettbewerb.“ Schokolade ist nach seinen Worten viel zu billig, „aber den Preisnachholbedarf können wir schon seit langem auf dem Markt nicht durchsetzen“.

Das Pea-Unternehmen, heute eine Tochter des holländischen Konzerns Van Houten International, kehrte inzwischen zu seinen Wurzeln zurück: Ursprünglich in Dresden gegründet und nach dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg wieder aufgebaut, ist es seit dem Fall der Mauer auch in der ehemaligen DDR wieder gut im Geschäft. Denn dort dürfen nicht nur seit dem Ende des sozialistischen Regimes die „Jahresendflügelkörper“ wieder Engel und die „männlichen Jahresendhohlkörper“ wieder Nikoläuse heißen – auch dem zuvor verbotenen Verkauf von Adventskalendern steht nun nichts mehr im Wege.

dpa

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