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Zwischen Sicherheitsdienst und Selbstgebackenem

■ Seit Mai leben in Oberneuland drogenabhängige Obdachlose / Notunterkunft als Schritt zur Stabilisierung

„Die Wogen haben sich geglättet“, sagt Niklas (38). Er ist seit 21 Jahren drogenabhängig und seit Mitte Mai einer von rund 20 Bewohnern und BewohnerInnen der Container- Notunterkunft in Oberneuland. Streß zwischen den drogenabhängigen Bewohnern und Anwohnern hat es bislang noch nicht gegeben. Im Gegenteil: Manchmal kommt Besuch, bringt frische Blumen oder — wie letzten Sonntag — zwei selbstgebackene Kuchen. „Die Frau wollte ihren Namen nicht nennen, wohl aus der Angst heraus, die Junkies würden eines Tages bei ihr vor der Tür stehen“, sagt der Projektleiter für die Notunterkunft, Klaus Schafstädt.

Manchmal verfolgt ein Auto des von Anwohnern bezahlten privaten Sicherheitsdienstes die Junkies von der Bushaltestelle am Oberneulander Bahnhof bis zur Unterkunft, die die Bremische Gesellschaft mit einem stabilen Eisenzaun umzogen hat. Gelegentlich kommt es dabei zum Wortgeplänkel. Das war's dann aber auch schon. Selbst Hasso Nauck, Sprecher der Bürgerinitiative, die monatelang mit einer Besetzung des städtischen Grundstücks die Notunterkünfte verhindern wollte, räumt ein: „Es läuft bis auf Einzelfälle, die ich nicht hochhängen will, überraschend gut.“ Nauck führt das allerdings auf den Sicherheitsdienst zurück, der im Umfeld der Container patrouilliert, und auf die rigide Hausordnung in den Containern.

„Jeder, der hier hinkommt, kennt die Regeln“, erzählt Klaus Schafstädt. Die Regeln: Keine Gewalt, alle Arten von Waffen abgeben, keine Spritzen 'rumliegen lassen, kein Besuch, Rauchen im Bett verboten. Wer klaut, fliegt sofort, wer eine Überdosis spritzt, auch: „Wer sich hier eine Überdosis setzt, kalkuliert, daß er gefunden wird. So etwas können wir nicht mitmachen“, erklärt Schafstädt. Bis spätestens 22 Uhr müssen die Junkies „zu Hause“ sein. „Dann ist noch bis 24 Uhr Unruhe“, sagt Michael Zygrodnik, Mitarbeiter beim ASB. Unruhe, daß ist: Gucken, wer welchen Stoff oder welche Tabletten hat, was wo wie teuer ist.

Maximal vier Leute wohnen in einem Container, 2,50 mal 13 Meter. Vier Betten, je zwei übereinander, an der Längsseite, am Fenster ein kleiner Tisch. Zehn Container stehen in Oberneuland. Auf dem gemeinsamen Flur kleine Schließfächer für die Wertsachen, alle Wände sind mit Kunststoff- Kiefer furniert, der Fußboden ist aus PVC. Sechs Mitarbeiter des ASB sorgen rund um die Uhr für Betreuung.

Betreuung heißt im wesentlichen: dasein. Und organisieren: Leute wecken, die Arzttermine haben, einkaufen, dazu Aids- Prävention: Spritzentausch, begrenzt auf zehn Stück pro Tag und Person, Kondomvergabe, letzeres aber nur sehr beschränkt. „Die Frauen, die noch auf den Strich gehen, können bis 22 Uhr nicht hier sein, die übernachten hier nicht“, sagt Schafstädt. Überwiegend wohnen Männer in Oberneuland.

„Eigentlich ist das hier nicht menschenwürdig, mit vier Leuten auf einem Zimmer“, sagt Schafstädt. Werner (33), seit 14 Jahren abhängig: „Es ist hier besser als auf der Straße, aber jeden Tag, wo du hier bist, wird es schwieriger, wieder zu gehen.“ Die Adresse Rockwinkeler Landstraße stigmatisiert die Abhängigen bei der Wohnungssuche. Große therapeutische Möglichkeiten gibt es hier außerdem nicht. „Wir können hier, platt gesagt, doch nur rumlabern, wenn es um Therapien oder ähnliches geht“, erklärt Dr. Hermann Jahns, der beim ASB die Fachaufsicht über das Projekt hat. Erstes Ziel der Unterkunft ist deshalb: obdachlose Abhängige wieder soweit stabilisieren, daß sie Eigeninitiative entwickeln können.

Im Ansatz geschieht das in Oberneuland. Die Junkies halten ihre Container selbst sauber, manchmal wird zusammen gekocht, ein Putzplan regelt den Dienst für die Gemeinschaftsräume wie Küche und Bad. Von Zeit zu Zeit und nach Bedarf werden Gesprächsrunden angesetzt. Tagsüber fahren viele Junkies in die Stadt, halten sich aber nur noch kurz auf der Szene auf. Im Gegensatz zur Jola, die tagsüber geschlossen hat, können die Junkies in Oberneuland immer in ihre Unterkunft.

Die Notunterkunft Oberneuland ist ein Provisorium. Nur bis Ende 1994 hat das Gericht die Fohlenwiese in Oberneuland als Standort für eine Notunterkunft freigegeben. Bis dahin will der ASB Ausgleichswohnraum in Woltmershausen schaffen. Auf einem Gelände in der Wartumer Heerstraße soll auf 750 Quadratmetern Wohnraum für ca. 40 Abhängige geschaffen werden. Der Beirat hat das Projekt bereits abgelehnt, in der zuständigen Deputation scheiterte die Entscheidung bislang am Einspruch der FDP. mad

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