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Razzia mit 500 Beamten

■ Marchstraße 23 und Einsteinufer 41 durchsucht / Fünf Ausländerinnen festgenommen / Eigentümerin will Räumung

Ein besetztes Haus räumen zu lassen kann komplizierter sein, als einem Hausbesitzer recht ist: In bestimmten Fällen muß der Eigentümer die Besetzer nämlich namentlich kennen, bevor er diese durch die Polizei vor die Türe setzen lassen kann. Das trifft auch auf die Marchstraße 23 und das Einsteinufer 41 zu – die letzten beiden besetzten Häuser in Westberlin. Gestern morgen kurz nach fünf Uhr rückten als verlängerter Arm der Immobiliengesellschaft Henning, von Harlessem & Co GmbH 500 Polizeibeamte an, um die Besetzer zu „identifizieren“. 43 Personen wurden überprüft, fünf Ausländerinnen festgenommen und der Ausländerbehörde übergeben, weil ihr Aufenthaltsstatus offenbar ungeklärt ist. Ob ihnen die Ausweisung oder Abschiebung droht, will der von den Bewohnern beauftragte Rechtsanwalt Thomas Fruth heute herausfinden.

Um die besetzten Häuser in Charlottenburg gibt es einen langjährigen Konflikt. Die Eigentümerin wolle die Häuser abreißen, um den Boden „renditeträchtig“ zu nutzen, so Elisabeth Ziemer, wohnungsbaupolitische Sprecherin des Bündnis 90/Grüne. Seit vier Jahren konnten die Besetzer – Studenten, Arbeitnehmer, Auszubildende und Arbeitslose – den Spekulationsgeschäften aber einen Strich durch die Rechnung machen. Gemeinsam mit der TU und dem Bezirk erarbeiteten sie verschiedene Konzepte, bei denen unter anderem die Häuser erhalten und auf einer Freifläche ein Studentenwohnheim gebaut werden sollen. Der Eigentümerin wurden sowohl Kaufangebote unterbreitet als auch die Möglichkeit eingeräumt, ihre Grundstücke gegen eines der Hochschule der Künste zu tauschen. Baustadtrat Claus Dyckhoff (SPD) konnte zwischenzeitlich auch die Abrißgenehmigung aussetzen. Doch dann lehnten Stadtentwicklungs- und Bausenator notwendige Schritte ab.

Ziemer warf gestern Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) vor, sich mit dem Aufgebot von 500 Polizisten zum Handlanger von Spekulanten gemacht zu haben. Warum für die Feststellung der Personalien von 43 Besetzern überhaupt so unverhältnismäßig viele Beamte eingesetzt werden mußten, konnte die Polizeipressestelle gestern nicht erklären. Ein Polizeisprecher räumte ein, daß sich die Zahl von 500 „nach sehr viel anhört“. Zu dem Handlanger- Vorwurf der Grünen sagte Heckelmann-Sprecher Hans-Christoph Bonfert, daß der Senator vom Gericht angeordnete Polizeieinsätze zu gewährleisten habe. Es sei nicht Aufgabe des Innensenators, bei der Eigentümerin gegen eine Räumung zu intervenieren.

Der nächste Gerichtsprozeß gegen die Besetzer findet nun im September statt. Dann wird über den Räumungsantrag der Immobiliengesellschaft entschieden. Rechtsanwalt Fruth zeigte sich gestern zu den Chancen der Beklagten „nicht pessimistisch“. Sollten die Besetzer den Prozeß allerdings verlieren, droht die Räumung im ungünstigsten Fall schon im Oktober. Dirk Wildt

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