: Abwärtstrend in Ost und West
■ Arbeitslosenzahlen steigen / Trübe Aussichten auch für 1994
Nürnberg (taz) – Mit dem Arbeitsmarkt in Deutschland geht es weiterhin bergab. 3,26 Millionen waren Ende Juni in Ost- und Westdeutschland ohne Arbeit, das sind 21.400 mehr als im Vormonat. Bernhard Jagoda, Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), konstatierte deshalb eine anhaltende „konjunkturelle Abwärtsbewegung“ in den alten Bundesländern und konnte nur wenige „Lichtblicke“ für die neuen Länder orten.
Zum ersten Mal seit Jahresanfang ist die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern wieder gewachsen. Ende Juni waren knapp 1,1 Millionen Menschen ohne Arbeit, 3.100 mehr als im Mai. Die Arbeitslosenquote blieb unverändert bei 14,4 Prozent. Die Einsparungen bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten wirken sich inzwischen gravierend aus. In Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren im Juni nurmehr 251.900 Personen beschäftigt, also 16.500 weniger als einen Monat zuvor. Die Zahl der Teilnehmer in Vollzeitmaßnahmen beruflicher Fortbildung und Umschulung sank um 17.300 auf 410.500, die Zahl der Kurzarbeiter um 14.500 auf 200.600. Insgesamt entlasten diese Instrumente den Arbeitsmarkt im Juni weniger als im Mai. Daß trotzdem die Zahl der Arbeitslosen nur um 3.100 anstieg, führen die BA-Statistiker darauf zurück, daß die „Rückzüge vom Arbeitsmarkt zunehmend an Bedeutung“ gewännen.
Die nach dem ABM-Stopp als Alternativlösung angebotenen Maßnahmen nach Paragraph 249h des Arbeitsförderungsgesetzes, also von der Bundesanstalt bezuschußte Maßnahmen in den Bereichen Umwelt, Jugendhilfe und Soziales, kommen nicht so recht vom Fleck. Statt der anvisierten 50.000 bis 70.000 Stellen sind es derzeit nur bescheidene 14.500.
„Aller Anfang ist schwer“, kommentierte BA-Chef Jagoda diese Entwicklung. Er räumte ein, daß es seiner Behörde schwerfalle, Kommunen und andere Träger als Mitfinanziers zu gewinnen. Licht im Dunkel des Ostens sieht Jagoda lediglich im Bausektor. Der Bestand an gemeldeten Stellen ist dort überdurchschnittlich stark gestiegen. Wenig Trost für die Betroffenen, denn die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter ist ebenfalls gewachsen. Die Bauwirtschaft verlange andere Qualifikationen, als die arbeitslosen Bauarbeiter sie besitzen, begründet dies Jagoda.
In den alten Bundesländern stieg die Zahl der Arbeitslosen gegenüber dem Vormonat um 18.300, saisonbereinigt gar um 29.000 an. 2.166.200 sind derzeit ohne Arbeit. Von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sind die Fertigungsberufe besonders negativ betroffen. Gegenüber dem Vorjahresniveau stieg die Arbeitslosigkeit in den Metall- und Elektroberufen um 44 Prozent, die Arbeitslosigkeit insgesamt jedoch nur um 26 Prozent. Für 1994 rechnen die BA-Statistiker mit einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit im Westen von 2,6 Millionen, 300.000 mehr als im Jahresdurchschnitt 1993. Bernd Siegler
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