piwik no script img

Stimme aus dem Nichts

Ein reiner Frauenberuf: Das „Fräulein vom Amt“ im Postmuseum Frankfurt  ■ Von Christoph Danelzik

Vom Klappenschrank zum Mikrochip: Im Frankfurter Postmuseum wird derzeit ausgestellt, was im Grunde unsichtbar ist – die reine Stimme. Sie hat jedoch nicht nur einen technischen Aspekt, sondern auch einen soziologischen, denn mit der Telefonistin entstand ein Frauenberuf. Der Blick durch den Telefonhörer in die Arbeit der Vermittlungsämter erfaßt denn auch beide Teile.

Ein Telefonat kommt über die Verbindung zweier Leitungen zustande. Was heutzutage automatisiert in Relaisstationen abläuft, teilweise auch schon in Großrechnern, war vor Jahrzehnten noch Handarbeit. Wenn Frau A. Herrn B. anrief, sandte sie per Handkurbel einen schwachen Strom zum Amt, wo an einer Vermittlungsstelle eine Klappe fiel. Eine Telefonistin stöpselte sich ein, und nachdem sie den gewünschten Anschluß erfahren hatte, verband sie die „Klinken“ des anrufenden und des anzurufenden Anschlusses. Bis zur Erfindung des Selbstwählverfahrens blieb dieses Prinzip gültig. Ein Quantensprung war fällig, als jede Telefonistin an ihrem Schrank 10.000 Leitungen bearbeiten mußte. Um 1910 herum wurde in Großstädten die Arbeit in Gesprächsannahme und -verbindung geteilt. Dadurch vereinfachte sich die Suche nach dem richtigen Anschluß, aber das Arbeitstempo beschleunigte sich erheblich.

Frauen besaßen vier Vorteile gegenüber den männlichen Telefonisten, die in den 1880er Jahren noch die Vermittlungsstellen dominierten: ihre Stimmlage war für die elektrische Übertragung günstiger, ihr Temperament wirkte – angesichts der zahlreichen technischen Pannen – mäßigend, und eine weibliche Stimme war den Gesprächsteilnehmern sympathischer; ausschlaggebend war jedoch, daß bis 1922 Telefonistinnen als unterbezahlte Hilfskräfte ohne Aufstiegschancen beschäftigt wurden und nicht mit den Beamten konkurrierten.

Großfotos und eine Installation illustrieren in Frankfurt das Werk der Telefonistin als typische Frauenarbeit. Lange Reihen von Arbeiterinnen an Nähmaschinen und Schreibkräfte in Großbüros – die Strukturen glichen sich. Um festzuhalten, was kaum überliefert ist, haben die Ausstellungsarchitekten das Schattenbild einer Vermittlungsstelle an die Wand gemalt. Vor ihr liegen Erinnerungsalben, in denen Einzelschicksale nachzulesen sind, z.B. das der Marie B., in Nürnberg und Bamberg tätig zwischen 1896 und 1903. Nach einigen Jahren verdiente sie soviel wie ein gelernter Arbeiter; heiraten durfte sie nur mit Genehmigung der Behörde, erst die Weimarer Verfassung hob den weiblichen Zölibat und andere Benachteiligungen der Frauen auf.

Siegfried Kracauer hat in seiner Reportage über „Die Angestellten“ schon 1930 auf die Diskrepanz zwischen Arbeitsbedingungen und Lebensgefühl des Kleinbürgertums hingewiesen. Das Bild des „Fräuleins vom Amt“, das in Revuen, Kinofilmen und auf Werbeplakaten der 1920er Jahre mit erotischem Touch das elektrisierende Großstadtgefühl verkörpert, ist real und fiktiv zugleich. Trotz einer mit dem Fließbandjob vergleichbaren Arbeit, hatten die jungen Frauen einen unübersehbaren „Drang nach draußen“, zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Gegen die mit der neuen Lebensweise verbundenen Streßfolgen empfahl bereits 1926 die Firma Allmann ihre Kola-Tabletten.

Eine der Folgen des Ersten Weltkriegs war die Entwicklung der „Psychotechnik“ für die Personaleinstellung, die von den USA übernommen wurde. Handfest veranschaulicht ein Experimentierraum, auf welche Weise die Fernsprechämter ihre Telefonistinnen rekrutierten. An Originalgeräten kann man testen, welche Reaktionsschnelligkeit und Ausdauer von den Probandinnen gefordert wurde. Doch es genügte nicht, diese Hürde übersprungen zu haben. Obertelefonistinnen bedienten die Kontrollschränke (ein Exponat aus Groningen war schon 1916 im Einsatz), an denen sich der Arbeitseifer der „Fräuleins“ mit Lichtsignalen verfolgen ließ. Durch heimliches Mithören wurden verbotene Privatgespräche kontrolliert. Angesichts solcher Anforderungen verwundert es nicht, daß viele Frauen erkrankten. Von den Amtsärzten wurden die meisten Beschwerden gern als „Hysterie“ bezeichnet und abgewiesen; doch in den Krankenakten sind die sich drastisch vermehrenden Fälle physischer und psychischer Überlastungen nachzulesen.

Im letzten Teil der Ausstellung verschwindet das „Fräulein vom Amt“ von der Bildfläche. Seit 1929 überwog die Zahl der automatischen Verbindungen und in der Nachkriegszeit wurde die Handvermittlung vollends automatisiert. Eine Nische entstand in der nunmehr nötigen Telefonauskunft. Der Rest ist Technikgeschichte – mit einer Ausnahme: endlich ist die Schallplatte zu sehen, die einer automatischen Telefonauskunft dient. Und wer den Chippendale-Hörer vom schwarzen Bakelit-Apparat abnimmt, hört eine Stimme, die eine längst verflossene Zeit ansagt: Neun Uhr siebenundvierzig — im Jahr 1935.

Die Ausstellung „Fräulein vom Amt“ im Deutschen Postmuseum Frankfurt ist bis 15. August zu sehen; Katalog: 39 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen