: Panik bei Hamburgs Vermietern
■ Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Eigentumsschutz von Mietern löst eine Kontroverse in Hamburg aus Von Kai von Appen
Mieter einer Wohnung haben einen gleichrangigen Eigentumsschutz wie Vermieter. Das hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe entschieden. Vermieter dürfen danach ihren Mieter wegen Eigenbedarf nur dann kündigen, wenn „beachtliche und nachvollziehbare Gründe“ für eine Kündigung wegen Selbstnutzung vorliegen.
In dem Verfahren hatten die Richter zu bewerten, ob eine Eigenbedarfsklage einer pflegebedürftigen Hausbesitzerin, die ihren Sohn deshalb in der Nachbarwohnung unterbringen wollte, gerechtfertigt war. Dabei hatte das BVG die unterschiedlichen Gesetzesvorschriften gegeneinander abzuwägen und kam dann zu dem Schluß: „Der Eigentumsschutz des Mieters unterscheidet sich in seiner Struktur nicht von demjenigen des Vermieters und Eigentümers.“ Denn für einen gewöhnlichen Mieter ist die Wohnung der „Lebensmittelpunkt“. „Geschützt ist nicht das Besitzrecht an der Wohnung, sondern deren Privatheit“, so die BVG-Richter: „Der Schutz der Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz soll vielmehr Störungen vom privatem Leben fernhalten, Schutzgut ist die räumliche Sphäre.“
Aber gerade die Kündigung des „Lebensmittelpunkts Wohnung“ kann einen Eingriff in die Privatsphäre darstellen: Daher könne der Mieter bei Eigenbedarfsklagen verlangen, daß die Gerichte prüfen, „ob ein ernsthafter, vernünftiger und nachvollziehbarer Erlangungswunsch“ vorliegt und ob der geltend gemachte Wohnraum nicht weit überhöht ist. Der Mieter hat nach BVG-Auffassung zudem das Recht, daß die Mietgerichte derartigen Einwänden nachgehen, „die der Bedeutung und Tragweite seines Besitzstandsinteresses gerecht wird.“ Das BVG zur Klarstellung: „Der vertragstreue Mieter wird gegen einen Verlust seiner Wohnung geschützt, der nicht durch berechtigte Interessen des Vermieters begründet ist. Die Wohnung als räumlicher Mittelpunkt zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit, als Freiraum eigenverantwortlicher Bestätigung, kann ihm nicht ohne beachtliche Gründe durch Kündigung entzogen werden.“
Die Stadtentwicklungsbehörde begrüßte das Urteil. Ihr Sprecher Tom Janssen: „Die Welle der Kündigungen wegen sogenannten Eigenbedarfs, die regelmäßig nach Umwandlungen einsetzt, ist damit erschwert, die Städte können aufatmen.“ Beim „Mieterverein zu Hamburg“ löste der Richterspruch sogar Euphorie aus: Der Vorsitzende Eckhard Pahlke: „40.000 Räumungsklagen müssen unter neuem Licht verhandelt werden.“
Bei Mieter helfen Mieter (MhM) herrschte dagegen nur gedämpfte Freude. Justitiarin Sylvia Sonnemann: „Die mieterfreundliche Rechtsprechung in Hamburg ist bestätigt worden, und vielleicht wirkt sich das auch aufs Umland aus.“ Doch klare Worte würden fehlen. „Ich hätte mir eine eindeutigere Stellungnahme bei der Interessenabwägung gewünscht. Der Hit ist das Urteil nicht!“ In der Tat: In dem verhandelten Fall hatte das BVG dem Eigenbedarfsbegehren letztendlich stattgegeben.
Beim Grundeigentümerverband war gestern nachmittag keine Stellungnahme zu erhalten. Doch viele der Wohnungseigentümer müssen einen regelrechten Schock bekommen haben. Sonnemann: „Bei Vermietern scheint das Urteil Panik ausgelöst zu haben. Wir haben noch nie so viele bösartige Anrufe bekommen.“
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