Village Voice: Wohlklang, Freude, Harmonie
■ Euro-Kulti mit dem Quartered Shadows
Berlin ist seit Jahren schon weit davon entfernt, eine eigenständige, produktive, wegweisende Musikszene zu haben. Es ist ja kein Wunder, daß den Neubauten, von denen man selbiges fast allein nicht behaupten kann, vorgeworfen wird, sie hätten hier jegliche andere Szenerie dinosaurierhaft unterdrückt.
Andererseits ist Berlin immer wieder Anziehungspunkt für auswärtige Musiker, die stadtgraue Auffrischung suchen, Untergangsmythen abfeiern oder – wie in letzter Zeit – aus den fast verfallenen, jetzt besetzten Häusern Ostberlins wiederauferstehen und Lebendigkeit demonstrieren.
Dazu gehören auch die Quartered Shadows, eine fünfköpfige Multi-Kulti-Truppe, deren Mitglieder aus Italien, der früheren DDR und Westberlin stammen: drei verschiedene Kulturen – wenn man so will. Weit weg vom Cave-Bonneyschen Düster-Blues ist das Motto der Quartered Shadows die fröhliche Rock-Wiedervereinigung. Ihr erstes Album, das sie in Amsterdam aufgenommen haben und auf einem italienischen Label herauskommt, ist der Inbegriff des früher „schräg“ genannten Indierocks, eine Spezies, die durch den Einbau von Hymnenhaftigkeit und Struktur gelernt hat, Wohlklang, Harmonie und Eingängigkeit zu verbreiten.
Das beste Beispiel dafür ist der Song „Russian Lullaby“. Er beginnt sehr langsam mit einem akustischen Gitarrenvorspiel und einem sehnsüchtig-fernen Gesang, um sich langsam zu steigern und schließlich in einem Refrain mit fetten Baßläufen zu münden. Der gute und immer (an)ziehende Hard(?)-Rock-Song mit der nötigen Schippe voll Dreck.
Ähnlich funktioniert „The Belly Of A Disease“, wo zweistimmiger Mann/Frau-Gesang und ein perlendes Hammondorgan – das die Band übrigens nicht zu knapp einsetzt – dem Durchgang noch die richtige Würze geben. Wie es überhaupt sich als ganz richtig erweist, daß die eine der beiden Frauen in der Band den Sänger und Gitarristen Cesare Basile unterstützt, denn dessen Organ versprüht viel Kraft, die in einem starken Mißverhältnis zur tatsächlichen Hörwahrnehmung steht.
Live bestimmt eine Katastrophe, obwohl da ja das Noisy-turn im Vordergrund steht und manche Leute schon behaupten ließ, daß sie die Band Sonic Youth wirklich verstanden hätten.
So bleibt auf der CD erstmal der Gedanke an den einen oder anderen „B-52's“-Chorus, manchmal auch wehmütige Erinnerungen an „Surfer Rosa“-Freuden. Mit „Silly Day“, „Rollin Down“, „The Last Floor Beach“ hat man aber auch drei anmutige Akustik- Balladen im Programm, und der Heimat eines Großteils der Band wird mit „Sicilian Clan“ gehuldigt, einer Adaption von Ennio Morricone, dem einzig bedeutenden Pop-Musiker/Komponisten, den Italien neben Vico Torriani hervorgebracht hat. Vielleicht der Titeltrack zum nächsten, zur Abwechslung mal europäischen „Singles“-Verschnitt mit Kenneth Brannagh und der abgeschminkten Katja von Garnier in den Hauptrollen.
Als Rausschmeißerin aus dem Album erweist sich dann Co-Sängerin Sonja, die in ihrer „Ragged Time“ ganz leise, instrumentell pianös das Schlußwort hat und den Eindruck eines schönen und dichten und abwechslungsreichen Albums vervollständigt. Und wenn Jennifer Capriati neulich in Wimbledon auf einer Pressekonferenz mit einem Primus-T- Shirt überraschte (natürlich nur die wissenden Grunge-Core-Leckerschmecker), dann ist zu befürchten, (oder zu hoffen?), daß die Quartered Shadows demnächst, als eine Art von Alternative-Jugend-präsentiert-sich-der- Welt auf der Brust von, na sagen wir, Kati Witt, prangen wird. Gerrit Bartels
Quartered Shadows: „The Last Floor Beach“ (A.V.Arts)
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