: „In welchem Style sollen wir bauen?“
■ Nachwehen zu „Auf dem Wege zu einer neuen Berlinischen Architektur?“
Das Symposion im Deutschen Institut für Urbanistik hatte sich mit dem Programm des Abschlußtages eine facettenreiche Bespiegelung der derzeitigen Berliner Architekturprobleme zur Aufgabe gemacht. Dieses Spektrum zu kommentieren, geriete zum Spiegelbild des Symposions: viel anzureißen, aber nichts zu bewegen. Je länger das Symposion vorbei ist, desto schärfer kristallisieren sich zwei Punkte heraus, die schon während des Tages größten Unmut erzeugten: der Umgang mit Hans Kollhoffs Vortrag sowie die Schinkel-Schwärmerei.
Josef Paul Kleihues setzte mit seinem Vortrag „Zur Philosophie des Hauses im Berliner Block“ den Beginn. Die durch den Titel berechtigte Erwartung, daß eine Ausleuchtung der Philosophie folgen würde, wurde indes enttäuscht, denn es blieb im wesentlichen bei einer Dokumentation der Entstehungsgeschichte der traditionellen Berliner Blockstruktur. Wo man am Ende ein reflektierendes Resümee, im Sinne eines Ausblicks nach Alternativen erhoffte, geriet der Vortrag von Kleihues zu einer „sentimental journey“, der IBA – die eine längst fällige kritische Betrachtung nicht bedachte.
Ist Temperament auch nicht als Maßstab für einen guten Vortrag zu werten, so war Kollhoffs Vivace- Beitrag bereits durch die Ablösung der Halbmaststimmung Kleihues' wohltuend. Es war ein Plädoyer für den ehrlichen Umgang mit der Architektur. Sein Thema „Das steinerne Haus: Materialität und Handwerklichkeit“ – klar vor dem Hintergrund seines derzeitigen Wohnbaus „Stein auf Stein“ (Falkenberg) zu sehen – setzte sich einerseits mit der Semperschen Materialethik auseinander, andererseits wies er auf das Problem der Suggestion von Permanenz durch Stein, mittels der beliebt gewordenen und beliebig eingesetzten Beschichtung, hin. Werden doch Fassadenvorhänge aus Fünf-Millimeter-Fliesen als Stein verkauft: „hochglanzpoliert wie für Fliesenleger“.
„Stein“ des Anstosses waren ihm vor allem die Neugestaltung der BHF-Bank Lietzenburger Straße/Ecke Uhlandstraße, sowie die „Fasanen-Eck/Uhland-Passage“, wobei letztere auch hinsichtlich der höchst fragwürdigen Lösung einer Blockauflockerung schlüssig hinterfragt wurde. Seine Bemerkung, er habe das Gefühl, wir lebten im Zeitalter der Beschichtung, sollte im doppelten Sinne des Wortes etwas tiefer gehen.
Ohne Zweifel: Kollhoff agierte mit missionarischem Eifer, seine Emotionalität ließ ihn ein paarmal übers Ziel springen – aber wie wichtig war dies, um die Defizite, die vielfach verlorene, verletzte architektonische Ethik plastisch präsent zu machen. Er durfte sich eine derart emotional geladene Kritik leisten: wie spielerisch er mit dem Problem des Berliner Blocks umzugehen weiß, hat er mit seinem Wohn- und Geschäftshaus am Luisenplatz bewiesen. Die Reaktionen zeiigten, daß man ihn anscheinend nicht begriff, oder wollte man ihn nicht begreifen?
Im weiteren Verlauf kam schließlich das traumatische Thema „Berliner Traufhöhe“ zwar verschiedentlich aufs Tapet, doch ohne wesentliche Reflexion. Das 22-Meter-Dogma wurde letztlich demütig hingenommen. Jürgen Sawade vermittelte mit einem wunderbaren Beispiel, daß das Thema sehr wohl zur Reflexion ansteht. Sawade erzählte (wahrlich genüßlich!) von der legendären Cezanne-Ausstellung. Da habe ein Kritiker Cezanne angegriffen, daß er ja nicht einmal einen Arm anatomisch richtig malen könne – da viel zu lang –, worauf Liebermann dem Wortlaut nach entgegnet haben soll: Lieber Mann, der Arm ist so schön gemalt, der kann gar nicht lang genug sein...! Auch hier hatte man den Eindruck, daß das immanente „fabula docet“ im Publikum nicht die Resonanz hatte, die Sawade zweifellos zu provozieren suchte. Axel Oestreichs engagierter Vortrag „Ingenieurbauten und Brücken“, den er ausschließlich den „Planungen“ der Deutschen Bundesbahn widmete, darf nicht unterwähnt bleiben. Denn er führte dem Publikum ein Horrorkabinett vor Augen. „Bonjour Tristesse!“: Die einstmalige Berliner Vielfalt von S-Bahnstationen und -brücken bleibt leider nicht auf der Strecke, sondern wird zur Strecke gebracht. Die Deutsche Bundesbahn wird die Öffentlichkeit mit einer einheitlichen Fast-Food-Architektur beglücken.
Als sei die Bauakademie Schinkels die Inkunabel der europäischen Architekturgeschichte, war sie fast durch alle Vorträge dieses Tages gegeistert. Hier waren Peter Wilsons puritanische Bemerkung in der Schinkel-Schwärmerei von reinigender Wirkung. Er ließ durchspüren, daß die Formensprache der Bauakademie in Preußen als Novum gewertet werden konnte, in England aber unspektakulär schon viel früher da war. Schließlich stammten die Form sowie die Technik des Eisenskelettbaus von den Spinnereifabriken in New Lanark her, wo Schinkel sie auf seiner Englandreise abskizziert hatte.
Bei der abschließenden Podiumsdiskussion „Berlinische Architektur: Illusion oder Motivation“ hatte man das Gefühl, daß sie fürs Ausland aufgezeichnet würde, wo Deutschlands Ansehen geschönt werden müsse, sprich: es war nicht verständlich, warum der Dikussionsleiter und Organisator Fritz Neumeyer derart bemüht war, einen harmonischen Abschluß zu gestalten und das Wort wiederholt da weiter gab, wo wesentliche Diskussionsansätze gerade ins Laufen kamen. Nicht ins Laufen kam die Diskussion allerdings, wo es erwünscht gewesen wäre. Hans Kollhoffs Vortrag evozierte nur Kleihues' Befremden: Er verstehe den Hans nicht, wie der plötzlich so sentimental werden könne, wo er doch schließlich auch immer ein ein Moderner gewesen sei – schließen sich Moderne und Kampf gegen architektonischen Schlendrian aus? Nachdem Kleihues sein Unverständnis über Kollhoffs Ansichten nochmals kundgetan hatte – der Hans störe sich eben dran, weil sein Büro um die Ecke liege und er täglich an der BHF-Bank vorbei müsse, diese Geschichte sei doch übersehbar, er sehe sie einfach nicht – wurde das Thema als beendet betrachtet. Es läßt sich fragen, wie symptomatisch es zu werten ist, daß Kollhoff sozusagen als Moralist in die Ecke gestellt wurde und man sich der Probleme – wahrhaftig nicht nur auf die BHF-Bank reduzierbar – durch witzelnde Bemerkungen entledigt glaubte. Wurde hier einfach einer „Philosophie“ der Gewöhnung das Wort geredet.
So irritierend wie das Ausbleiben einer engagierten Reaktion auf Kollhoffs Vortrag war, so irritierend ist die derartige augenblickliche Beschwörung Schinkels. Soll den Architekten ein eigenes Suchen und Wollen nicht abgesprochen werden, so imagnierte man bei diesem Verhaftetsein im „Credo in unum Schinkelum“ gerne, daß Schinkel samt Bühnenbild der „Zauberflöte“ leibhaftig erschiene und die Worte: „Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht, zernichten der Heuchler erschlichene Macht“ an die Architekten richten würde.
Zumal wenn noch eine Bierreklame ganz Berlin zukleistert, die Schinkels Baukunst und Berliner Braukunst als Analoga präsentiert, „Zwei Berliner Meisterwerke...“. An dieser Stelle will einem der legendäre Satz des ehemaligen Senatsbaudirektors Müller (der hier dem Sinn nach zitiert sei) einem nicht aus dem Kopf: „Trotz aller guten Zutaten, guten Willens, am Ende kommt in Berlin doch immer irgendwie n ur ne Bulette raus.“ Möge er nicht als ewiger Fluch lasten, sondern Philip Johnsons einige Tage zuvor aufmunterndern Abschlußappell: „Nehmt das Heft in die Hand!“ Wirkung zeigen. Stephanie Matuszak
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