: „Es wurden Lügen sanktioniert“
■ Doping-Expertin Brigitte Berendonk wirft den DLV-Funktionären nicht nur wegen Trainer-Amnestie Doppelmoral vor und nimmt ihnen den Willen zum Neuanfang nicht ab
taz: Das Zauberwort der runderneuerten DLV-Funktionärsriege heißt „sanfter Leistungssport“. Können Sie damit etwas anfangen, Frau Berendonk?
Brigitte Berendonk: Wortgeklingel ist das in meinen Ohren.
Eine Leistungsgesellschaft, in der „sanfte Leistung“ ankommt, in der harmlose Weiten, unspektakuläre Höhen und lahme Zeiten vermarktet werden, ist das überhaupt vorstellbar?
Na ja, wenn Meisterschaften im Kugelstoßen heute unter 20 Meter weggehen, sprich weit weg vom Rekord, dann scheinen die Doping-Kontrollen ja zumindest zu greifen. Und das scheint es ja zu sein, was die Damen und Herren Funktionäre mit „sanftem Leistungssport“ bezeichnen. Andererseits, wer sich jahrelang mit Stoff vollgepumpt hat, hat ein Niveau aufgebaut, von dem er noch eine gute Weile zehren kann.
Ändert sich wirklich etwas im Zirkussport, wenn nicht auch der Sportkonsument seine Erwartungshaltung korrigiert?
Eine Bewußtseinsänderung täte auch ihrer Zunft ganz gut. Sonst ist das alles doch recht schizophren. Man muß sich endlich einmal klarmachen, was es heißt, den sanften Weg zu beschreiten. Trainieren an sich, auch ohne chemischen Rückenwind, ist nie sanft, immer Knochenarbeit. Und bleibt es auch, wenn zum Beispiel der 400-m-Weltrekord der Frauen [Marita Koch: 47,60 s, d. Red.] von 1985 in ungreifbare Ferne gerückt ist.
Das olympische citius, altius, fortius wird durch eine neue Maxime ersetzt, den Sieg des Athleten über sich selbst?
So ist es.
Und wie verkauft sich der rekordfreie Sport?
Das ist dann wiederum das Problem Ihrer Zunft, der Sportjournalisten, neue Motive an die Stelle des Medaillenspiegels zu setzen.
Und was vermarkten die Sponsoren? Außer den tugendhaften Sportlern.
Ach, das große Geld können ohnehin nur wenige machen. Da muß man schon Heike Henkel oder Dieter Baumann heißen.
Also Olympiasieger, der doch wieder besser war als alle anderen. Auch die Siebenkämpferin Birgit Clarius behauptet, die persönliche Bestleistung sei ihr Antrieb genug...
... nur so kann man den Sport noch mit Spaß betreiben. Es gehört doch viel Schinderei dazu.
Spötter meinen, sportliche Mauerblümchen neigten dazu, aus ihrer Not, dem Leistungsdefizit, eine Tugend, die Anti-Doping- Ethik, zu machen.
Denen kann man auch nicht mehr helfen. Wer nur Rekorde purzeln sehen will, soll den Stadien fernbleiben.
Also alle DLV-Rekorde streichen und in Duisburg die Stunde Null anfangen lassen?
Ein Rekord sollte nur Gültigkeit haben, seit es unangekündigte Trainingskontrollen gibt. Und die gibt es in überzeugender Form selbst heute noch nicht.
Und was ist mit den genmanipulierten Monstersportlern, die uns Ihr Mann, der Molekularbiologe Werner Franke, in Aussicht stellt?
Es gibt immer Verrückte, die sich immer verrücktere Manipulationen einfallen lassen. Das kann man einfach nicht ausschließen.
Zurück zu den Funktionären. Das neue DLV-Präsidium trat an mit dem Anspruch, alles anders, viel besser und vor allem viel ehrlicher angehen zu wollen. Die erste große Tat der Herren ist nun, alle Osttrainer vom Dopinggeruch reinzuwaschen.
Ja, das paßt doch wieder ins Bild. Damit wurden Lügen sanktioniert, statt die Wahrheit zu suchen. Da arbeitet eine DSB-Kommisssion zwei Jahre lang an dem Thema, spricht Empfehlungen aus, alles für die Katz'. Herr Digel ignoriert diese Recherche, handelt gerade so, wie er will.
Als Wissenschaftler sprach Helmut Digel von Visionen und einem sauberen Sport. Spricht er als Funktionär mit anderer Zunge?
Ich nehme es Herrn Digel nicht ab, daß er einen Neuanfang will. Er ließ sich mit Lügen abspeisen, statt alle Fakten über den Dopingstaat DDR auf den Tisch zu bringen. Diese Amnestie zeugt von einer unglaublichen Doppelmoral. Die Leute vom BAL (Bundesausschuß für Leistungssport) gerieren sich als fürsorgliche Arbeitgeber. Man könne doch diesen Osttrainern nicht einfach die Lebensgrundlage entziehen, sagen sie weichherzig. Ja, aber wo war denn die Lobby für die Ärzte der DDR-Polykliniken, für die Professoren, die jetzt arbeitslos sind?
Gibt es Hoffnung für einen Sport der Zukunft?
Die Anti-Doping-Kampagne der Zehnkämpfer ist erfreulich. Wenn die ihren Sport sauber halten können, läßt mich das auf Nachahmung hoffen. Das ist der richtige Weg. Doch die Impulse müssen von den Athleten ausgehen, sonst ändert sich nichts. Interview: Cornelia Heim
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