: RAF spricht, Ermittler schweigen
■ RAF-Stellungnahme zu Bad Kleinen überraschend moderat / Vernebelungskampagne von BKA et. al. fortgesetzt / Justizministerin unter Druck, dafür V-Mann schon in Miami am Strand?
Berlin (taz) – Die RAF hat mit einer vergleichsweise zurückhaltenden Erklärung auf die Erschießung von Wolfgang Grams und die Festnahme von Birgit Hogefeld reagiert. In einem Schreiben an die Nachrichtenagentur AFP bezeichnet die RAF die Schießerei in Bad Kleinen am Sonntag vor acht Tagen als „Terroraktion“ der Bundesanwaltschaft, des BKA und des Verfassungsschutzes, die von „ihren Killertruppen“ ausgeführt wurde. Die RAF sei auch nach ihrer einseitigen Deeskalationserklärung im April 1992 nicht davon ausgegangen, „daß der Staatsschutzapparat aufhören wird, nach militärischen Schlägen gegen uns zu lechzen“. Trotzdem sei es „eine große Erschütterung, in dieser Kälte und Brutalität damit konfrontiert zu sein“. Mit dem „Einschnitt in unsere 22jährige Geschichte“ im vergangenen Jahr hätten sie die Vorstellung verbunden, „daß in dieser Phase die Freiheit der politischen Gefangenen durchgesetzt werden muß und kann.“ Der Staat habe aber die „Rücknahme der Eskalation“ als „Zeichen der Schwäche“ gedeutet, die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen verschärft und eine neue Prozeßwelle gegen die Inhaftierten begonnen.
Die RAF hält dem Schreiben zufolge an ihrer Erklärung aus dem April 1992 fest, wonach sie den bewaffneten Kampf zugunsten des „Aufbaus einer Gegenmacht von unten“ einstellt. „Allerdings ist die Ausgangsbedingung eine neue: Wolfgang ist hingerichtet worden.“
Verfassungsschutz, Bundesanwaltschaft und BKA bezeichneten das Schreiben als echt. Die Kölner Vefassungsschutzbehörde erklärte, es komme darin der Wille der RAF zu einer Neuorientierung zum Ausdruck. Geworben werde aber um die „Zustimmung zur Rückkehr von Mordaktionen, zumindest aber um Verständnis für Vergeltungsaktionen“.
Nach dem Rücktritt von Innenminister Seiters und der Entlassung von Generalbundesanwalt von Stahl gerät nun Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) unter Druck. Der Bild- Zeitung zufolge soll die Ministerin bereits in der Vorbereitungsphase von den geplanten Festnahmen gewußt und trotz chaotischer Planungen nichts unternommen haben. So sollen die GSG-9-Beamten bis eine Stunde vor dem Einsatz nicht gewußt haben, auf welchem Bahnhof sie den Zugriff vornehmen sollten. Die Beamten seien insgesamt auf drei Bahnhöfe – neben Bad Kleinen die Stationen Groß Stieten und Bobitz – verteilt gewesen. Völlig überrascht sei die Elite-Einheit auch von der Anwesenheit Wolfgang Grams gewesen. Dieser wurde laut Einsatzleiter nicht erkannt, „weil wir diese Person zum ersten Mal da gesehen haben“.
Der Bundesgrenzschutz (BGS) hat nach BKA-Angaben eine Videoaufnahme, ein sogenanntes Sekundenband, von der Schießerei in Bad Kleinen.
Eine neue Vorgeschichte der wilden Schießerei lieferte gestern die FAZ. Danach hätte Grams bereits zwei Tage zuvor festgenommen werden sollen, er sei aber zu einem verabredeten Treffpunkt mit dem V-Mann nicht erschienen. Bei dem Treffen des V-Mannes mit Grams und Hogefeld in der Gaststätte auf dem Bahnhof in Bad Kleinen sei es dann zu einem Mißverständnis zwischem V-Mann und der draußen wartenden Polizei gekommen. Der V-Mann habe signalisiert, Hogefeld sei anwesend, nicht aber Grams, woraus die Polizisten möglicherweise falsche Schlüsse zogen. Der V-Mann soll mittlerweile mit Billigung amerikanischer Behörden in die USA gebracht worden sein. Neue Verwirrung gibt es auch in der Frage, mit welcher Waffe Grams getötet wurde. Gutachter Brinkmann hatte am Dienstag erklärt, Grams sei mit keiner vom BGS verwendeten Waffe erschossen worden. Laut FAZ lag dem Sachverständigen aber nur eine Pistole zur Untersuchung vor, obwohl beim BGS mehrere Pistolentypen desselben Kalibers verwendet würden. Der taz gegenüber hat Innenausschuß-Vorsitzender Bernrath erklärt, seine Frage nach dem V-Mann hätte lediglich bezweckt, zu klären, ob dieser Komplex überhaupt untersucht worden sei. wg
Interview Seite 4, Dokumentation der RAF-Erklärung Seite 10
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