: Tiger mögen's am liebsten an der Backe
■ taz-Gespräch mit einer Artistin, einer ehemaligen Akrobatin und einem Dompteur
hier bitte die beiden
Damen im Zelt
C. Ollas (l.) und E. Bizzarro
Das Hulla-Hupp-Mädchen Miß Claudia Ollas (18) ist in einem tschechoslowakischen Zirkus aufgewachsen. Hulla Hupp hat sie bei ihrer Mutter gelernt, die assistiert ihr noch heute. Der Bruder ist Jongleur. Alle drei arbeiten bei Althoff.
Emma Bizzarro (-), einst bekannte ungarische „Kautschuk“ -und Luftartistin, hat sich vor Jahren bei einem Sturz so verletzt, daß sie immer mehr Nummern aufgeben mußte. Heute hat sie
nur noch eine komische Nummer: Als gealterte Ballerina im Tütü tanzt sie mit einem vertrottelten Dicken (gespielt von ihrem Mann).
Pietro Bizzarro (48) ist wie sein Vater, Groß- und Urgroßvater Dompteur. In Bremen zeigt er eine Nummer mit Tigern. Zwar probt er täglich nur eine halbe Stunde, doch vor und in den Käfigen hält er sich viele Stunden auf.
Miß Claudia, 20 Reifen können Sie schon gleichzeitig um die Taille drehen — wieviele streben Sie an?
Miß Claudia:Ich hab' auch schon 35 Reifen geschafft, aber das ist wegen des Gewichts für's Kreuz zu anstrengend. Weltspitze sind 71 Reifen. Eine Bulgarin hat das einmal bei dem Festival in Paris gezeigt.
Sie hatten ja am Freitag bei der Premiere Pech: Erst beim drittenmal konnten Sie die 20 Reifen halten.
Ja, es kommt mal vor, daß man aus dem Tempo rauskommt; meine Mutter hat die Reifen auch zu niedrig geschmissen — wenn ich mich bücken muß, kann ich nicht drehen.
Haben Sie einen Traum, wo Sie mit 30 Jahren sein wollen?
Ich würde gern einen Preis gewinnen im „Zirkus von morgen“ in Paris; da muß man sich mit einer Videokassette bewerben. Aber ich bin noch nicht so weit, ich will wenigstens acht Reifen mit den verschiedenen Körperteilen in verschiedene Richtungen drehen können, jetzt kann ich das mit sieben.
Was meinen Sie, was Sie machen, wenn Sie 54 sind?
Viele hören mit 30 auf. Mein Vater hat jetzt mit 47 aufgehört, weil er von der Equilibristik, vom Handstand zum Beispiel, ein ganz steifes Kreuz hat. Jetzt macht er mit meinem Bruder eine komische Nummer.
Man bleibt also länger bei einem Zirkus, wechselt nicht alle zwei Jahre?
Bei Krone kriegt man auch Verträge für fünf, sechs Jahre. Bei Althoff bin ich jetzt das dritte Jahr. Viele Artisten haben einen Agenten, der Engagements für sie sucht.
Haben Sie denn überhaupt ein festes Zuhause, wenn Sie doch von März bis November mit dem Zirkus herumziehen?
Im Winter bin ich in Prag. Aber ich habe hier auch meinen eigenen Wagen, vier Meter lang, mit Fernsehen, Video und meinem Nintendo.
Freizeit haben Sie vermutlich kaum, bei Proben und zwei Auftritten täglich ...
Feierabend ist um zehn Uhr abends, gestern zum Beispiel waren wir dann noch im Hansa- Bowling zum Billardspielen.
Haben Sie einen Freund?
Nein. Aber viele tschechische Artistenmädchen haben einen Freund zuhause, im Winter sieht man sich dann. Eine tschechische Kollegin hat kürzlich einen
Schweizer Artisten geheiratet.
Müssen die dann nicht eine gemeinsame Nummer haben, damit Sie zusammen ein Engagement bekommen?
Wenn man's nicht schafft, dann macht der Junge eine Nummer, und das Mädchen assistiert dabei.
Frau Bizzarro, Sie assistieren heute Ihrer Tochter und haben nur noch eine komische eigene Nummer — macht Ihnen das nichts aus, so albern dazustehen?
Emma Bizzarro:Doch, früher schon, ich wollte das überhaupt nicht machen. Aber mein Mann sagte, warum nicht?
Das Team bei Althoff ist ja sehr jung, was machen denn die anderen Frauen in Ihrem Alter?
Viele haben aufgehört, viele sind verheiratet, sind jetzt Assistentin. Das Publikum will junge schöne Leute sehen. Man hat Glück, wenn man im Zirkus bleiben und zum Beispiel Kassiererin sein kann, oder wie ich meiner Tochter beim Säbelbalancieren assistieren kann.
Herr Bizzarro, Sie haben mit dem Älterwerden wahrscheinlich keine Probleme — Ihre Tiernummer können Sie ja noch mit 70 machen?
Pietro Bizzarro:Ja natürlich, solange wie die Tiere und ich einander vertrauen, solange geht es gut.
Wie machen Sie das, daß die Tiere Sie nicht fressen?
Die Tiere wissen, daß ich nicht schlage, die Tiere müssen also nicht zurückschlagen. Sie haben ja in der Vorstellung gesehen, daß ich nur eine kleine Peitsche hab', um Kommandos zu geben, und sonst nur einen ganz kleinen Stock zum Dirigieren. Andere Dompteure haben Gabeln und große Stöcke.
Gibt es Tage, an denen Sie merken, daß man einem Tiger besser nicht den Rücken drehen sollte?
Da ist zum Beispiel der große Boss, 195 Kilo schwer, 17 Jahre alt — eine phantastische Bestie, ein Charakter von einem Tiger.
Ja, jetzt gerade sind vier Weibchen in der Periode für die Liebe, da gibt es viel Rivalität von Tiger zu Tiger. Da muß man aufpassen: Da ist zum Beispiel der große Boss, 195 Kilo schwer, 17 Jahre alt — eine phantastische Bestie, ein Charakter von einem Tiger.
Was heißt denn Charakter bei einem Tiger?
Er bewegt sich ganz langsam, und wenn er will, springt er Sie an — da gibt es keine Chance, für keinen Menschen. Der kommt direkt aus dem Dschungel, die anderen sind fast alle im Zirkus geboren. Nur ich darf diese Tiere streicheln.
Wo mögen die denn am liebsten gestreichelt werden.
An der Backe unterhalb der Ohren.
Was machen Sie denn, wenn ein Tiger keine Lust hat oder schlecht drauf ist?
Gar nichts, ich lasse ihn in Ruhe auf seinem Podest sitzen.
Und wenn einer überhaupt nicht gehorcht und alles falsch macht?
Ein Tiger weiß ganz genau, was ein Fehler ist
Dann kriegt er einen Tag lang kein Futter. Ein Tiger frißt ja jeden Tag 15 bis 20 Kilo Rinder- oder Pferdefleisch. Pferdefleisch ist für die Tiger das Festessen. Schweinefleisch ist dagegen nicht gut für sie, da sind zuviele Krankheiten drin.
Das ist aber hart.
Aber ein Tiger weiß ganz genau, was ein Fehler ist. Wenn zum Beispiel drei Tiger parallel auf
hier bitte
den Mann
unter dem Bären
Pietro Bizzarro
dem Boden rollen sollen, und einer verweigert das Mitmachen, dann weiß er, daß er einen groben Fehler gemacht hat.
Bei der Premiere am Freitag haben vier Tiger auf's Podest geschissen, wie kam denn das?
Das kam von der Hitze. Am Freitag war so viel Wind, da mußten wir das Zelt zumachen, dann aber wurde es sehr warm da drin.
Soviel, wie Sie mit den Tigern zusammen sind — da können Sie keinen Urlaub machen, oder?
Nur mit den Tieren. Urlaub habe ich zehn Jahr nicht gemacht.
Wo würden Sie denn gern hin
Ich bin ja Italiener, aber in Travemünde ist es besser für mich.
Fragen: Christine Holch
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