piwik no script img

"Besetzt" oder"umstritten"?

■ Konflikt um Westbank und Gaza-Streifen von USA umdefiniert

Tel Aviv (taz) – Die Delegation amerikanischer Nahostbeauftragter, die vor vier Tagen in Jerusalem eintraf, um die israelisch-arabischen Nahostgespräche endlich aus der Sackgasse zu führen, hat bislang wenig ausrichten können. Der „Überbrückungsvorschlag“ im israelisch-palästinensischen Konflikt, den die USA zum Ende der letzten Nahostrunde präsentierten und den das peace team unter Leitung von Dennis Ross jetzt lancieren soll, hat die Differenzen weiter vergrößert. Die israelische Regierung befürwortete den Vorschlag nach anfänglichem Zögern, während die Palästinenser bei ihrer scharfen Kritik geblieben sind. Zu dem Gespräch mit Dennis Ross traf am Freitag denn auch nur ein Teil der palästinensischen Verhandlungsdelegation im Ostjerusalemer US-Konsulat ein. Die Delegationschefs Feisal Husseini und Haider Abdel Schafi blieben fern, um ihre Kritik an dem „Überbrückungsvorschlag“ noch einmal zu unterstreichen. Die Gesprächsteilnehmer hoben anschließend hervor, daß sie nicht über das Papier verhandelt hätten. Sie hätten Ross ihre Kritik an der amerikanischen Position vorgetragen und auf die alltäglichen schweren Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten hingewiesen. Außerdem hätten sie erneut direkte Verhandlungen Israels mit der PLO verlangt. Delegationsmitglied Ghassan Khatib erklärte nach dem Gespräch resigniert: „Die US-Vorschläge sind der Totenschein für das Abkommen über die Autonomie-Zwischenlösung.“

Der amerikanische „Überbrückungsvorschlag“ für die israelisch- palästinesischen Verhandlungen weist vor allem Mittel und Wege zur Aufrechterhaltung der israelischen Besatzung für die Dauer der geplanten „Übergangszeit“ in der Westbank und im Gaza-Streifen. Die israelische Regierung besteht mit amerikanischer Unterstützung darauf, daß der Geltungsbereich des sogenannten „Autonomiemodells“ für die Palästinenser territorial nicht definiert wird. Die geplante palästinensische Selbstverwaltungsbehörde solle lediglich einen „strukturell-funktionalen“ Charakter haben – also nicht gebietsweise arbeiten, sondern auf die palästinensische Bevölkerung bezogen sein. Die Frage des definitiven Status der besetzten Gebiete stehe jetzt nicht zur Debatte. Die UN-Resolutionen 242 und 338, die seit vielen Jahren einen Rückzug der israelischen Truppen verlangen, seien auf das fünfjährige Zwischenlösungsstadium nicht anzuwenden. Ein hoher israelischer Beamter bezeichnete den US-Vorschlag als Modell für verbesserte Okkupationsbedingungen. Es gehe keinesfalls um eine grundsätzliche Änderung der Besatzungszustands.

Die Palästinenser verlangen zwar keinen sofortigen israelischen Truppenrückzug mehr, doch bestehen sie darauf, daß sich die geplante Zwischenlösung grundsätzlich an den UN-Resolutionen orientiert: zumindest die Kompetenzen der geplanten Selbstverwaltungsbehörde müßten daher territorial festgelegt werden und sich auf die besetzten Gebiete insgesamt erstrecken.

Der amerikanische „Überbrückungsvorschlag“ liefe darauf hinaus, daß die bislang nicht vorhandene rechtliche Grundlage für die israelische Besatzung geschaffen und mit der Unterschrift der Palästinenser versehen würde. In dem vorgeschlagenen Text für eine gemeinsame israelisch-palästinesische Grundsatzerklärung ist denn auch ganz offiziell von „umstrittenen“ und nicht mehr von „besetzten“ Gebieten die Rede.

Die palästinensische Führung hat bekanntgegeben, daß sie über den amerikanischen „Überbrückungstext“ nur unter zwei Bedingungen verhandeln wird: die UN- Resolutionen 242 und 338 müßten Grundlage aller Gespräche sein, und der neu eingeführte Terminus „umstrittene Gebiete“ müsse durch den anerkannten Begriff „besetzte Gebiete“ ersetzt werden.

Nach einer Zwischenstation in Ägypten ist Dennis Ross gestern mit seinem Team nach Syrien weitergereist. Der israelische Ministerpräsident Rabin hat ihnen eine Botschaft an den syrischen Präsidenten Assad mitgegeben, in der dieser aufgefordert wird, die Lieferungen iranischer Waffen via Syrien an die Hisbollah-Milizen im Libanon zu unterbinden. In der vergangenen Woche kam es im israelisch besetzten Teil des Südlibanon zu einer Eskalation der Kämpfe zwischen libanesischen Guerillagruppen und der israelischen Armee, die von den Söldnereinheiten der Südlibanesischen Armee (SLA) unterstützt werden. Dabei wurden in den letzten Tagen fünf israelische Soldaten getötet und fünf weitere schwer verletzt. Nach libanesischen Angaben wurden am Freitag bei israelischen Hubschrauberangriffen auf Stellungen der nicht zur PLO gehörigen palästinensischen Guerillagruppe Ahmad Jibril im Südlibanon mehrere Palästinenser getötet.

Amerikanische Diplomaten baten alle Beteiligten um Zurückhaltung, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Aus libanesischen Quellen wurde bekannt, daß Israel am Wochenende seine Truppen im Südlibanon verstärkt hat. Die israelische Regierung beriet gestern, ob Israel weitere militärische „Vergeltungsaktionen“ im Libanon unternehmen soll oder ob damit zu warten ist, bis Dennis Ross mit einer Antwort auf Rabins Warnung aus Syrien nach Israel zurückkehrt. Amos Wollin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen