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Flurfunk der politischen Klasse

■ Über die wichtige Rolle Hamburger JournalistInnen im Bürgerschaftswahlkampf. Wenn sie nicht schreiben, stillen sie kommunikative Urbedürfnisse    Von Florian Marten

Hamburgs classa politica liebt es derzeit mal wieder ganz besonders kuschelig. Nestwärme der besonderen Art wird gesucht: Kaum ein JournalistInnenohr, in welchem sich nicht ganze Heerscharen von PolitikerInnen einnisten - oder zumindest einnisten möchten. Die Top-Ten der Hamburger Polit-LokaljournalistInnen genießen diese Zeit mit kokettem Stöhnen: Ach, was wollen die nicht alles von einem! Ach, wie wichtig ist man doch! Ach, wie schön, daß alle zu mir kommen und nicht zu meinen KollegInnen!

Auch der Autor dieses Artikel erfreut sich dieser Anfechtungen. Streichelt es nicht das Ego, wenn SPD-Spitzenpolitiker einem mahnend vorhalten, man habe die Grünen durch seine Artikel stärker gemacht als sie es verdienten? Wenn SPD-Senatoren sich erkundigen, ob man wisse, was Voscherau von ihnen halte, oder ob vielleicht bereits die Grünen das betreffende Ressort für eine der ihren im Visier hätten? Wenn Spitzenpolitiker verschiedenster Couleur so tun (oder meinen sie es gar ehrlich?!), als dürsteten sie nach einem kompetenten persönlichen Rat des Journalisten?

Multi-Medium Journalist

Und noch eins: Da Hamburgs PolitikerInnen die Angewohnheit haben, viel weniger miteinander zu reden, als man gemeinhin glaubt (gerade GenossInnen schweigen aneinander vorbei), Journalisten aber mit allen reden, wird man schnell zum Ziemlich-viel-Wisser, der seine jeweiligen Gesprächspartner geschickt dosiert mit Spezialneuigkeiten füttern kann und dafür umgehend mit neuen Vertraulichkeiten entlohnt wird. Journalisten sind so Schmiermittel einer für die Politmacher unverzichtbaren indirekten Kommunikation.

Natürlich läuft auch einiges an den Journalisten vorbei. Es ist aber schon eigentümlich, wie dicht das kommunikative Gestrüpp von Medien und Politikern im Politdorf Hamburg wuchert. Dschungelmetaphern treffen die Sache: schwül, hitzig, voller Dornen, Lianen und Moskitos. Die Journalisten haben fraglos eine kaum zu unterschätzende Bedeutung. Sie sind Multi-Medien: Über ihre Zeitungen und Sender machen sie öffentliche und veröffentlichte Meinung. Daneben aber bedienen sie gezielt die politischen Akteure, bauen oft ganz bewußt in ihre Artikel versteckte Botschaften an die eine oder andere Gruppe, den einen oder anderen Politiker ein. Im direkten Kontakt mit den Politikern ersetzen sie den Flurfunk der politischen Klasse. Und schließlich machen JournalistInnen untereinander Meinung: Am Rande eines Parteitags verabreden dann schon mal taz, Abendblatt, dpa und NDR, wie sie beispielsweise einen bestimmten Parteitag werten, auf welche Aspekte sie besonders Wert legen wollen. Grüne gesund schreiben, FDP zerstritten schreiben, CDU-Spitzenkandidat Fischer lächerlich schreiben - null problemo.

Die LeserInnen bekommen nur die Oberfläche zu sehen: Da bemüht sich Welt-Schreiber Uwe Bahnsen, der so gerne Hamburgs Oberleitartikler wäre (manche glauben, er sei es), den biederen SPD-Fraktionschef Günter Elste zum Wirtschaftssenator hochzuschreiben. Da macht die soziverfilzte MoPo solide SPD-Wahlpropaganda, da kocht die taz den Konflikt ÖTV/SPD um Rot-Grün hoch, da guckt das Hamburger Abendblatt weit weniger neugierig als früher nach den Alternativen von CDU und FDP, weidet sich dagegen hochachtungsvoll an der netten grünen Spitzenkandidatin Krista Sager ...

Vielen JournalistInnen, auch mir, fällt es da schwer, wirklich unabhängig zu bleiben. Ein Dilemma: Gehört man nicht zu jenem inneren Zirkel, der mit Informationen satt gefüttert wird, weiß man nicht genug. Gehört man aber dazu, dann ist es mit der neutralen Rolle eines schreibenden Beobachters schnell vorbei.

Gerade einen taz-Redakteur verblüfft dabei, welche Bedeutung unserer kleinen Zeitung zugemessen wird. Manchmal glaubt man gar, sie habe diese Bedeutung ... Einfühlsame Kenner der Szene erklären einem dies mit der Gleichmacherei von Pressespiegeln: Die classa politica liest den Rathauspressespiegel oder kopierte Zeitungsausschnitte, die sie selbst betreffen. Da fällt die selektive Wahrnehmung nach Auflagenhöhe weg.

Das ist aber nur ein klitzekleiner Teil der Wahrheit. Aus meiner Erfahrung sind gerade auch die PolitikerInnen Opfer des Wandels der Kommunikationsstrukturen geworden: Flurfunk, Haustelefon und interne Meinungsbildung funktionieren immer schlechter - Öffentlichkeit und Medien bestimmen zunehmend das Wissen über sich selbst. Das Bild, welches sich beispielsweise Sozialdemokraten und Gewerkschafter über ihre traditionsreichen Institutionen machen, wird immer stärker von außen geprägt. Die SPD-Scharping-Pseudo-Urwahl mit Mediendonner ist nur ein besonders deutlicher Ausdruck davon.

Kunstkommunikation

Normale Kommunikation geht kaputt - da müssen Surrogate her, die Medien. Das verzweifelte Drängen der Poilitiker zu jenen, die Kommunikation machen, den Medienleuten, wird hier verständlich. Mit dem Privileg der Macht und der Geheimnisträgerschaft können sich Politiker wenigstens die Illusion verschaffen, durch engen Kontakt mit den Medien wären sie ein Jemand. Umgekehrt gelingt es den Politikern, die Medien zu ihren Kumpanen zu machen - aller Haßkappenschreibe zum Trotz. Eine Kunstwelt mit Kunstkommunikation, die sich nicht selten im Kreis dreht.

Aber immerhin die Befriedigung menschlicher Urbedürfnisse sicherstellt, in einer Zeit, die mit menschlichen Urbedürfnissen immer weniger am Hut hat: Politiker suchen jemanden, der ihnen zuhört, und belohnen ihre Zuhörer mit überbordender Aufmerksamkeit. Nestwärme auf Gegenseitigkeit. Wahlkampf – eine Kuschelorgie.

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