: Die Wahrheit als Ausschuß
■ Der Innenausschuß scheiterte bei der Aufklärung der Aktion in Bad Kleinen wieder kläglich
Berlin (taz) – Je lauter die Rufe nach rückhaltloser Aufklärung der Geschehnisse in Bad Kleinen werden, um so weniger kommt die Wahrheitsfindung voran. Auch nach der dritten Sondersitzung von Innen- und Rechtsausschuß gab es gestern keinerlei Klarheit über die Todesumstände des RAF-Mitgliedes Wolfgang Grams. Nach gut drei Stunden resümierte der Innenausschußvorsitzende Hans Gottfried Bernrath (SPD): „Nichts wesentlich Neues.“ Über Vorbereitung und genauen Ablauf der Schießerei auf dem Bahnhof in Bad Kleinen am Sonntag vor zwei Wochen, bei der Grams und ein Beamter der Elitetruppe GSG 9 getötet wurden, gibt es nach wie vor keinen Aufschluß. Das bestätigte auch der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Horst Eylmann (CDU). Befragt wurden unter anderem die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), der Verfassungsschutz-Chef Werthebach und der Chef des Bundeskriminalamtes, Zachert. Entgegen ihrer Ankündigung gab die Justizministerin keine neuen Einzelheiten bekannt – sie berief sich auf die Geheimhaltungspflicht. Die Ministerin hat nach den Worten des SPD-Abgeordneten Gerd Wartenberg „eine große Lippe riskiert“, aber keine Neuigkeiten geliefert. Hartnäckigen Gerüchten zufolge war für ihre Schweigsamkeit auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Rudolf Scharping verantwortlich, dessen Landesamt für Verfassungsschutz den mysteriösen V-Mann „Klaus“ geführt haben soll. Bernrath zufolge hatte das Bundesinnenministerium auf Wunsch eines an der Aktion beteiligten Bundeslandes die Aufhebung der Geheimhaltungspflicht für die FDP-Politikerin abgelehnt.
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Anke Fuchs beschuldigte die Koalition gar, „das Vertrauen in die Innere Sicherheit beschädigt und aufs Spiel gesetzt“ zu haben.
Die Ausschüsse erreichten nichts, dafür warf sich aber der neue Innenminister Manfred Kanther forsch ins Zeug: Er sicherte die schnelle und vollständige Aufklärung aller Vorgänge um den Polizeieinsatz von Bad Kleinen zu. Gerade vereidigt, ließ er den Bundestag gestern wissen, die Öffentlichkeit werde auch über die „kritischen Folgen“ der Aufarbeitung des Geschehens informiert werden. „Voreiligen Konsequenzen“ wollte er nicht das Wort reden: Solange noch Gutachten fehlten, Zeugenaussagen bewertet werden müßten und eine fachliche und politische Wertung ausstehe, sollten Forderungen nicht „aus dem Handgelenk“ geschüttelt werden.
In der Sondersitzung des Bundestages hatte das Parlament zuvor mit der überwiegenden Mehrheit von Union, FDP und SPD die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses abgelehnt, der von Bündnis 90/Die Grünen und PDS beantragt worden war. Der CDU- Abgeordnete Jürgen Rüttgers erachtete den Zeitpunkt für einen Untersuchungsausschuß als „verfrüht“.
Außenminister Kinkel hält unterdessen an seiner „Versöhnungsinitiative“ gegenüber der RAF fest, auch wenn diese innerhalb der Koalition umstritten ist. Diese Initiative habe immerhin dazu geführt, daß die RAF positiv reagiert habe und inzwischen kein Anschlag mehr auf Menschen verübt worden sei.
Demonstrative Rückendeckung will Kanzler Kohl der in Verruf geratenen GSG 9 geben. Er wird ihr noch in dieser Woche in St. Augustin einen Besuch abstatten.
Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 10
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