: Punks und Ministerialdirigenten
Die sächsische Landeshauptstadt im Jahre drei nach der Vereinigung / Wohin man schaut, wird aufgebaut: Im Sanierungsgebiet Äußere Neustadt wird abgerissen / Büros statt Wohnungen ■ Aus Dresden Detlef Krell
Meterhohe Lettern prangten wochenlang von einem Transparent an der Fassade des Wohnhauses Louisenstraße 3/7 im Dresdner Stadtteil Äußere Neustadt: „Das Haus ist zu retten und nicht zu verkaufen!“ Dazu das Gebot: „Du sollst nicht deines Nächsten Haus begehren, um es abzureißen.“ Unterhalb der Dachrinne war das sachliche Argument zu entziffern: „542,24 Quadratmeter Wohnfläche; Dach, Elektro, Gas, Sanitär 91/92 erneuert“. Das Grundstück gehörte unstrittig der Kommune, bis es die Firma Gustav Epple Bauunternehmung GmbH für ein 25-Millionen-Projekt erwarb.
Rund um das Haus wurden zügig die Trümmer planiert. Baumaschinen ebneten hundertjährige Mauern ein und begannen, das Gelände für Neubauten vorzubereiten. Nur an das Wohnhaus durften sie vorerst nicht heran. „Louise wackelt, steht aber noch“, titelte eine Dresdner Zeitung ihren Zwischenbericht vom Tauziehen um das Gebäude. MieterInnen veranstalteten Hoffeste, das Stadtteilbüro IG Äußere Neustadt intervenierte im Rathaus, die Stadtverordneten debattierten, Oberbürgermeister Herbert Wagner (CDU) verkündete: „Im Augenblick denkt niemand daran, in der Stadt Wohnungen abzureißen.“
Doch schon drei Monate später bekam die Firma Gustav Epple Bauunternehmung GmbH die Abrißgenehmigung erteilt. Eine Äußerung des Dezernenten für Stadtentwicklung, Ingolf Roßberg (FDP), wonach die Neustädter „sich nicht veräppeln“ lassen, geht seither als geflügelt-sarkastisches Wort um. „Veräppelt“ und in „Ersatzwohnungen“ verschoben fühlten sich die MieterInnen, als sie schließlich die sogenannte Räumungsvereinbarung unterschrieben haben. Vorgestern begannen die Abrißarbeiten.
Auf dem planierten Gelände sollen nun Geschäfts- und Wohnhäuser gebaut werden. Auf 53 Prozent der Gesamtfläche werden sich Büros und Läden einrichten. Die 49 geplanten Wohnungen mit Tiefgaragen sind frei finanziert, werden also ihre Käufer auf dem freien Markt finden. Für städtische Sanierungsmittel hat sich die Firma Epple gar nicht erst interessiert.
In der Dresdner Äußeren Neustadt, einem der größten geschlossenen Gründerzeitwohngebiete Europas, werden die Interessenkonflikte zunehmend härter ausgetragen. Und die Kontrahenten leben oft Tür an Tür. „Wenn das so weitergeht, werden hier Ministerialdirigenten und Punks zu Nachbarn“, ahnt ein Neustädter düster, „da ist doch klar, wer den kürzeren zieht.“ Zwar ist das Wohngebiet bereits vor eineinhalb Jahren zum Sanierungsgebiet erklärt worden. Doch haben sich seitdem viel weniger die Wohnverhältnisse der Neustädter verbessert als das Image von Steuerberatern, Rechtsanwälten und Elektronikhändlern, die sich gern in der hervorragenden Wohnlage niederlassen. „Einst wohnten hier Menschen, jetzt Computer“, erinnert sarkastisch eine Sprühschrift an einem der neuen Läden. Im vorigen Jahr blieben Sanierungsgelder in Millionenhöhe liegen, weil durch die Stadt noch kein Sanierungsträger berufen worden war und ungeklärte Eigentumsverhältnisse die Arbeit blockierten. Mit der STESAD, einem hundertprozentig kommunalen Unternehmen, gibt es seit November zwar den Sanierungsträger, doch erst seit 3.Mai ist er auch im Besitz von Grundstücken. „Der Verfall geht noch immer ungehindert weiter“, heißt das bittere Resümee im Stadtteilmagazin Anton.
Ganz andere Töne schlägt derzeit die Immobilienbranche an, wenn die Rede auf Dresden kommt. Das Magazin ImmoOst freut sich, denn Dresden gehört „nach wie vor zu den Standorten in den neuen Bundesländern mit gutem Entwicklungspotential und einer konstanten und stetigen Nachfrage auf dem Immobilienmarkt“. Für mehr als vier Milliarden Mark wird zur Zeit in Dresden gebaut. Doch nirgends sonst in dieser Stadt stehen so viele Wohnungen auf kleinem Raum leer wie im Stadtteil Äußere Neustadt. Landnahmen wie die der Firma Epple GmbH bedienen genau jenen Trend, der die Euphorie der Immobilienmakler in der sächsischen Landeshauptstadt beflügelt: Der Durchschnittspreis für eine Eigentumswohnung beträgt pro Quadratmeter 4.609 Mark; vier von fünf KäuferInnen kommen aus dem Westen. 30.000 Wohnungssuchende gibt es in Dresden, an dieser Zahl hat sich seit der Wende nichts geändert.
Es ist auch kein Zufall, daß Epple eben dieses Grundstück am Rand des Sanierungsgebietes von der Stadt gekauft hat. Es liegt an der Ecke zur Königsbrücker Straße, die auf sicherem Wege ist, sich zur Prunkmeile der Stadt herauszuputzen. Als sogenannte „Nordachse“ an der Elbe und im Regierungsviertel der Landeshauptstadt beginnend, führt sie durch die Neustadt mit ihren herrlichen Gründerzeit- und Jugendstilbauten hinaus in die Albertstadt. Dort, im historischen Kasernenviertel, sind die Felle längst verteilt: Bundeswehr und Banken, Regierungspräsidium und Eigentumswohnungen finden Platz in der hundertjährigen Parkanlage.
Einen guten Riecher für den attraktiven Standort hatte beizeiten auch die Bilfinger & Berger AG. Sie ließ für ihren Bürowürfel das „Aktiv“ abreißen, älteren DresdnerInnen als „Damms Etablissement“ oder „Reichskrone“ bekannt. In den Ballsaal waren die Arbeiter und kleinen Angestellten des Viertels zum Schwoof gegangen, dort sprach Ernst Thälmann, dort ist Dresdner Alltagsgeschichte gelebt worden. Auch im zweijährigen Kampf um ihren „schönsten Dresdner Ballsaal“ waren die Neustädter unterlegen. Die Schuld sehen sie auch bei sich, und die Aufforderung: „Aktiv bleiben“ hat seitdem noch eine hintergründige Bedeutung. „Wenigstens haben wir die Denkmalpflege der Stadt geweckt. Ohne unsere Aktionen gegen den Abriß wären die Deckenmalereien aus dem Jugendstil mit den Trümmern verschwunden“, resümiert Detlef Pflugk von der IG Äußere Neustadt. Bilfinger & Berger soll nun einige der „künstlerisch wertvollen“ Teile des historischen Ballhauses in seine Büros einpuzzeln. „Aber die trauen sich gar nicht, ihren Bau zu vermieten“, meint ein Neustädter, „weil die jetzt Angst haben vor den sogenannten bösen Autonomen.“
Diese „sogenannten bösen Autonomen“ leben in einigen scheinbar abrißreifen Häusern der Äußeren Neustadt und haben ganz andere Sorgen als verspätete Racheakte: Dächer abdichten, Dachbalken austauschen, Wohnungen und Cafés einrichten, Gerüchte um „Waffen und Linksradikale“ widerlegen. Ein Projekt wird von einem städtischen Sozialarbeiter, ein anderes vom Diakonischen Werk betreut, zwei Häuser leben noch in rechtlich ungesicherten Verhältnissen. Während des Stadtteilfestes Bunte Republik Neustadt (BRN) hatten, wie es im linken Infoladen „Schlagloch“ heißt, „einige Faschos gezielt provoziert“ und, gemeinsam mit der Polizei, von „zugereisten Krawalltouristen“ sofort Prügel bezogen.
„Als im vorigen Jahr beim BRN-Fest einige frisch renovierte Läden mit harmlosen Graffities besprüht wurden, hatten wir monatelang mit Eingaben und Drohungen zu tun“, erinnert sich Detlef Pflugk. Ein Rechtsanwalt ortete in der „Bunten Republik“ sogar einen „Sammelpunkt halbkrimineller Existenzen“. Nach den diesjährigen Krawallen habe sich das Klima im Viertel weiter verschlechtert. Aus einer Straße gingen 25 gleichlautende, aber mit unterschiedlichen Maschinen geschriebene Eingaben über „satanische Belästigungen“ an den OB. Für alternative Projekte wird es in der Äußeren Neustadt langsam eng. „Wir fühlen uns heute schon wie auf einer Insel“, gibt ein Bewohner eines linken Hauses zu.
Auf dem Papier klingt alles viel freundlicher. Vorige Woche hat die Dresdner Stadtverordnetenversammlung das „Erneuerungskonzept für das Sanierungsgebiet Äußere Neustadt“ beschlossen. Darin sind „Schutz der sozialen Struktur der Wohnbevölkerung“ und „Erneuerung der baulichen Substanz“ bei „Erhalt und Ausbau der Wohnfunktion“ auf dem Weg des „öffentlich geförderten Wohnungsbaus“ als Ziel für eine „behutsame Stadterneuerung“ vorgeschrieben. Bei Bauvorhaben „soll der Anteil des Wohnens 50 Prozent der geplanten Flächen nicht unterschreiten.“ Stadtentwicklungsdezernent Roßberg sieht in dem Konzept einen „gewissen rechtlichen Verbindlichkeitsrahmen“ und eine „sichere Handhabe für die Sanierungsziele“. Als er um „Vertrauen“ warb, daß „behutsame Stadterneuerung nicht nur ein Schlagwort ist“, sprach aus diesen Worten eher das Wissen um die Grenzen des Konzepts als um seine Möglichkeiten.
Den Beleg lieferte gleich Ausschußvorsitzender Walter Tempel (CDU). Er mahnte, „einige Besonderheiten gesondert zu behandeln.“ Diese „Besonderheit“ ist ein Quartier am Rand des Sanierungsgebietes, wieder an jener Straße, die schon Epple und Bilfinger & Berger für sich entdeckt haben. Den größten Teil des Viertels belegt das Gelände der Dental Kosmetik GmbH. Der Betrieb ist etwa so alt wie das Sanierungsgebiet und wurde durch die Münchner Argenta Internationale Anlagegesellschaft mbH von der Treuhand erworben. „Das ist die Schauseite des Sanierungsgebietes, und jeder, der ein Gebiß hat, weiß, daß man ohne die Schneidezähne so ziemlich geliefert ist“, gab ein Abgeordneter der Freien Wählervereinigung vergeblich zu bedenken. Das Quartier wurde aus dem Sanierungsgebiet herausgelöst.
Angeblich hat Argenta das Betriebsgelände mit der Auflage erworben, die Produktion auf einen anderen Standort zu verlagern und dort fortzuführen. Doch weder Termin noch Ort der neuen Produktion sind bisher bei „Dental“ oder in der Dresdner Argenta-Niederlassung zu erfahren. Noch etwa 120 Leute produzieren in dem Betrieb Zahnpasta und Kosmetik. Mit Mietverträgen für drei Jahre sind bereits zahlreiche Büros auf dem weitläufigen Betriebsgelände eingezogen. Für die Neubebauung hat Argenta die ersten Pläne vorgelegt. Eine großzügige Quader- Komposition für Büros und ein „Shopping-Center“ würde danach den Zugang zur Äußeren Neustadt markieren. Den im Erneuerungskonzept festgelegten Anteil von 50 Prozent Wohnungen mag der Investor nicht bauen. Das war der Grund für den erfolgreichen Vorstoß einer Mehrheit des Stadtentwicklungsausschusses.
Detlef Pflugk warnt vor „katastrophalen Folgen, wenn dem Investor gestattet wird, die 50 Prozent für Wohnungen zu unterlaufen.“ Das Quartier würde zum Präzedenzfall für weitere Investoren, und die geplante Nutzung würde auf die gesamte Neustadt ausstrahlen: „Da entsteht eine Sogwirkung für die Kaufkraft, es gehen noch mehr kleine Läden kaputt, und es entsteht ein künstlicher Bedarf für teure Wohnungen. Der Mietenspiegel für Wohnraum und Gewerbe im Sanierungsgebiet geht rasant in die Höhe.“
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