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VW hofft auf Schutzheilige

Bei der drittgrößten Auslandstochter läuft keine Qualitätsware vom Band / Lediglich ein Prozent vom US-Automarkt  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Der kleine kerzenbeleuchtete Altar in der riesigen Fabrikhalle wirkt surreal. Den Segen der Jungfrau von Guadalupe, eine Mischung aus Schutzheiliger und mexikanischer Mona Lisa, allerdings könnte die geplagte Volkswagentochter, seit über einem Vierteljahrhundert im mexikanischen Puebla ansässig, wohl gebrauchen.

Der derzeit „strategisch wichtigste Produktionsstandort der Welt“, so Firmenchef Ferdinand Piäch, ist gleichzeitig das Sorgenkind des Konzerns. Zwar hatte die Fabrik, nach Brasilien und Spanien die drittgrößte Auslandstochter, unter dem neoliberalen Öffnungskurs des 1988 angetretenen Präsidenten Salinas hohe Zuwächse bei Produktion und Verkauf verzeichnen können. Ihr Schwachpunkt aber bleibt der Export in die USA. Dort hält VW derzeit weniger als ein Prozent des Automarktes – gerade mal ein knappes Drittel davon kommt aus Puebla. Und sogar diese wenigen Autos sind ein subventioniertes Verlustgeschäft: nach Schätzungen von Experten liegt der Verkaufspreis im Norden zwischen 500 und 700 DM unter den Produktionskosten.

Zugespitzt hatte sich die Lage durch die stürmischen Arbeitskämpfe des vergangenen Sommers: 1992 waren nur 188.000 Autos vom Band gelaufen – 20.000 weniger als im Vorjahr; der Auslandsverkauf rutschte von 50.000 auf 34.000 Wagen. Dagegen verbuchten die Konkurrenten, allen voran die US-Hersteller Chrysler, Ford und General Motors, fast alle zweistellige Zuwachsraten.

Was war passiert? Im Juli letzten Jahres hatte die frischgewählte Gewerkschaftsführung eine weitreichende Betriebsvereinbarung über die Einführung von Gruppenarbeit und just-in-time-Produktion unterschrieben – ohne allerdings die Basis zu informieren. Eine Gruppe von Dissidenten rief daraufhin zum Streik auf. Die Geschäftsführung beantragte schnurstracks beim Arbeitsgericht die Auflösung des betrieblichen Tarifvertrags wegen „höherer Gewalt“ und damit die formale Entlassung der rund 14.000 beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder – verbunden mit dem Hinweis, andernfalls müsse der mexikanische Standort „überdacht“ werden. Der aufsehenerregende Schiedsspruch: die theoretische Massenentlassung wird gerichtlich abgesegnet, und das in einem Land, dessen relativ fortschrittliches Arbeitsrecht ausländischen Investoren immer noch ein Dorn im Auge ist.

Wenige Tage später wird ein Großteil der Beschäftigten mit „modernisierten“ Arbeitsverträgen wieder eingestellt. Nicht wieder dabei waren zunächst die etwa 500 potentiellen „Unruhestifter“: als solche sah das Unternehmen all diejenigen Arbeiter, die bei den letzten Gewerkschaftswahlen auf einer der 16 oppositionellen Listen kandidiert hatten.

Das neue Arbeitssystem räumt zum Teil tatsächlich mit Relikten einer vormodernen Betriebsordnung auf: waren bislang beispielsweise Aufstiegsmöglichkeiten ausschließlich von Betriebszugehörigkeit und dem Freiwerden eines Platzes in der nächsthöheren Lohngruppe abhängig, so zählen jetzt auch Leistung und Ausbildungsstand. Vor allem aber geht es um die Erweiterung unternehmerischer Freiheiten: ohne gewerkschaftliche Zustimmung kann die Werksleitung künftig Arbeiter im Werk umsetzen, Arbeitsprozesse an Drittfirmen auslagern und quasi unbegrenzt Zeitarbeiter anstellen. Die wichtigste Neuerung ist die Gruppenarbeit: in Teams von je 25 Arbeitern, koordiniert von einem sogenannten Gruppenführer, sollen künftig alle alles machen können – und damit für die bislang vernachlässigte Qualitätskontrolle verantwortlich werden.

Das Unternehmen bittet jetzt inständigst um Frieden im Haus. Bei einem erneuten Arbeitskampf „würde sicherlich der US-Export gekappt“, so der Industriesoziologe und langjährige Kenner des Werkes, Ludger Pries. 4.000 bis 5.000 Arbeitsplätze wären dann gefährdet. Unabhängig von den aktuellen Gewerkschaftsquerelen wird, angesichts der weltweiten VW-Krise, entlassen werden. Und das kann schnell gehen, denn es gibt bei dem deutschen Prestigeunternehmen in Mexiko keinerlei Kündigungsfristen und Arbeitsschutzgesetze.

Aber für die ersehnte Wettbewerbsfähigkeit fehlt VW in Mexiko vor allem eines: die Qualität. Der Druck dazu kommt aus dem Norden: „Die US-Kunden haben eine ganz andere Mentalität – dagegen akzeptieren die Mexikaner die Ware eher, wie sie kommt“, so Ludger Pries. Bei Kundenbefragungen der letzten Jahre gaben die Mitarbeiter der Entwicklungsabteilung freimütig zu, VW habe in der Bewertung „ziemlich weit unten“ gelegen.

Mehr noch als im relativ marktfern entwickelten Design liegt das Problem in der Verarbeitung: als Folge des Streikdebakels, so die Technikentwickler im ahnungslosen Widerspruch zum kurz zuvor abgegebenen Statement des Firmenspreches, sei die Motivation bei allen gesunken. Externe Beobachter wie Ludger Pries sprechen gar von Sabotage: Kratzer auf frisch lackierten Autos oder das gelegentliche Abdrehen von Gashähnen seien eben keine Betriebspannen. Das schlechte Betriebsklima kommt dem Konzern teuer zu stehen: drei von vier Probeautos durften den „Checkpoint“ Tampa in Florida nicht passieren und wurden zur Nachbesserung zurückgeschickt.

Während das Unternehmen, allem Unbill zum Trotz, für dieses Jahr eine Verdreifachung des Exports ankündigt, zeichnet Experte Ludger Pries ein eher düsteres Bild: „Wenn VW in Mexiko seine strukturellen Probleme nicht innerhalb der nächsten Jahre löst – und zwar mit und nicht gegen die Belegschaft –, ist es wahrscheinlich, daß es mittelfristig nicht im US-Markt konkurrieren kann – und mit der Nafta-Öffnung nicht einmal mehr auf dem mexikanischen Markt.“

Das aber möge die Jungfrau von Guadalupe, in Zusammenarbeit mit einem modernisierten Management, verhindern.

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