: Bundesbahn prüft Sinn des Tiergartentunnels
■ Auch Verkehrsminister nimmt Vorschlag von Darmstädter Architekten ernst / Steht Fernbahntunnel nun zur Disposition?
Offenbar ist über die Berliner Eisenbahnplanung doch noch nicht das letzte Wort gesprochen worden. Die Bundesbahn in Frankfurt am Main und das Bonner Bundesverkehrsministerium prüfen zur Zeit, ob der unter dem Tiergarten geplante Fernbahntunnel tatsächlich notwendig ist. Die Untersuchung hat das Darmstädter Architekturbüro Beer mit seinem „Alternativen Verkehrskonzept neuer Lehrter Bahnhof“ ausgelöst. Danach soll ein zentraler Umsteigebahnhof auch ohne Eisenbahntunnel möglich sein. Einsparungen in Milliardenhöhe wären möglich, und mit dem Bau des Regierungsviertels könnte schneller als geplant begonnen werden (die taz berichtete).
Bei der Bundesbahn hieß es gegenüber der taz, daß beim Alternativkonzept die Kapazität überprüft werde. Ein Ergebnis soll in zwei Wochen vorliegen. Kann die Kapazitätsfrage positiv beantwortet werden, müßte man über das bisher geplante „Pilzkonzept“, als dessen Grundelement der Eisenbahntunnel gilt, „ernsthaft nachdenken“, heißt es in Frankfurt am Main.
Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) läßt das Darmstädter Alternativkonzept ebenfalls „aus Interesse“ begutachten. Bei der Berliner Eisenbahnplanung sei „der Zug eigentlich abgefahren“, erläuterte Ministeriumssprecher Franz-Josef Schneiders, doch auf der anderen Seite müsse man sehen, daß Krause-Nachfolger Wissmann als neuer Minister „an alle Dinge sehr vorbehaltlos herangehen kann“.
Grund der Infragestellung des Eisenbahnkonzepts durch Bundesverkehrsministerium und Bundesbahn dürfte die schlechte Bonner Haushaltslage sein. Die Finanzierung des gerade vom Bundestag verabschiedeten Bundesverkehrswegeplans (BVWP), dessen Vorhaben bis zum Jahr 2012 knapp eine halbe Billion Mark kosten sollen, gilt als völlig ungesichert. Die Bundesländer haben Eisenbahnprojekte in Höhe von 213,6 Milliarden Mark angemeldet, Berlin will in den kommenden neun Jahren 10,5 Milliarden Mark ausgeben. Rainer Giesel, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, warnte gestern, daß in dieser Situation das Darmstädter Konzept „willkommenes Futter“ für Bundesbedienstete und Bahnbeamte ist, „die Berlin nicht leiden können“. Jetzt könnten diese den Tunnelbau und damit den Umzug torpedieren.
Darüber, ob das Darmstädter Konzept genauso leistungsfähig ist wie das bisher geplante „Pilzkonzept“, ist in Berlin inzwischen ein heftiger Streit ausgebrochen. Verkehrsverwaltung und CDU meinen, es sei nicht ausreichend, Grüne und die beiden Bürgerinitiativen Stadtring Süd und Westtangente halten das Darmstädter Konzept mit Detailveränderungen dagegen für leistungsfähig. Giesel warnte gestern seine Gegner, wegen einer „drittklassigen Idee“ den Bau des Regierungsviertels zu verzögern: „Dafür muß der Eisenbahntunnel 1998 dicht sein.“ Dirk Wildt
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