In grellem Gegenlicht

Spiel mit dem Augenschein: Bruce Robinsons neuer Thriller „Jennifer 8“  ■ Von Gerhard Midding

Der Beruf des Polizisten ist der einzige, dessen Alltag das Hollywoodkino in den vergangenen Jahren zu mythisieren und dramatisieren verstand. Schon um den Rhythmus, der die Exposition der meisten, auch der minderen, Polizeifilme bestimmt, ist etwas Unwiderstehliches: Ein abscheuliches Verbrechen ist geschehen, der Cop erscheint am Tatort, um es in Augenschein zu nehmen. Lakonisch bündelt dieses Erzählritual komplexe Reaktionen und Gefühle und übersetzt sie in nüchterne Routine.

„Jennifer 8“ ist entstanden aus der Lust, solche Genrekonventionen zu variieren. Die Geschichte indessen handelt von schwerwiegenden Regelbrüchen und gefährlichen Grenzüberschreitungen.

John Berlin (Andy Garcia) genügen eine Zigarette und das Abhören des Polizeifunks, um frühmorgens seine Lebensgeister zu wecken: Er ist Cop aus Leidenschaft. Das Leben in Los Angeles ist ihm unerträglich geworden; ein Freund hat ihm in der Kleinstadt Eureka einen neuen Job verschafft. Schon wenige Stunden nach seiner Ankunft wird auf einer Müllhalde eine Leiche gefunden, kurz darauf eine Hand. Es braucht nicht lang, bis sich Berlin heimisch fühlt. Seine modernen Ermittlungstechniken bringen ihm jedoch die Skepsis seiner neuen Kollegen ein; sein hartnäckiger Glaube, einem Serienmörder auf der Spur zu sein, der junge blinde Frauen ermordet, stößt überall auf Widerstand.

Seine einzige Zeugin scheint überdies wenig zuverlässig: Helena (Uma Thurman), die als 14jährige bei einem Unfall erblindete, ist dem Täter möglicherweise einmal kurz begegnet. Selbst Berlins Freund Ross (Lance Henriksen) glaubt, er habe sich in eine fixe Idee verrannt, zumal sich eine Liebesgeschichte zwischen Polizist und Zeugin anbahnt. Als Ross ermordet wird, gerät Berlin in Tatverdacht.

Natürlich ist auch diese Geschichte schon einmal erzählt worden, 1951 in „On Dangerous Ground“ (Regie: Nicholas Ray). Damals geriet Robert Ryan, ein neurotischer und gewalttätiger Großstadtcop, in den Bannkreis unbekannter Gefühle, als er auf dem Land (übrigens auch einer Winterlandschaft) der blinden Ida Lupino begegnet und schließlich durch ihre Liebe erlöst wird. Garcia ist weniger neurotisch als Ryan, aber auch bei ihm geht es um das heikle Gleichgewicht zwischen Aggressivität und Selbstbeherrschung. Sein obsessiver Charakter ist ebenso verstörend; Autor und Regisseur Bruce Robinson stellt ihn in einer angedeutet spiegelbildlichen Konfrontation dem Verbrecher gegenüber.

Letzthin fiel es dem Thriller- und Polizeifilmgenre immer schwerer, den Tätern überzeugende Motive unterzuschieben, auch „Jennifer 8“ zieht sich geschickt aus der Affäre, indem der Film sich vor allem für das Drama des Ermittelnden interessiert und Ähnlichkeiten zwischen Polizist und Verbrecher erahnen läßt.

Eine interessante Wendung in Garcias Karriere, der in „The Untouchables“ und „Black Rain“ saubere Polizisten spielte, die gegen jede Art der Korruption gefeit schienen. Rein und unschuldig waren diese Cops, das deutete alsbald seine Rolle in „Internal Affairs“ an, jedoch nur, solang sie jung waren. Robinsons Drehbuch wiegt sich in Ambivalenz, läßt Berlins Motive in der Schwebe. Selbst an der Aufrichtigkeit seiner Gefühle für Helena schürt es Zweifel: Benutzt er sie, um das Trauma seiner Ehe (eine genreübliche Polizisten- Ehe, das Drehbuch läßt kaum ein Klischee von der untreuen Ehefrau bis zum Alkohol aus) zu verarbeiten? Bewahrt ihn ihre Schutzlosigkeit davor, ein weiteres Mal von einer Frau verlassen zu werden? Überhaupt liegt ein Tabu über dieser Liebesgeschichte, die seinen Berufskodex und gleichzeitig die Moralvorstellungen der Kleinstadt verletzt.

„Jennifer 8“ stellt die Genrefiguren Garcias noch in anderer Hinsicht auf die Probe. Ein exzellenter Genreschauspieler ist er nicht nur, weil er über ein reiches Vokabular von Gesten und Manierismen verfügt (hier treibt er ein rasantes Spiel mit Zigaretten und Feuerzeugen), das wie eine Kurzschrift seiner Charaktere funktioniert. Sein Gesicht, schmal, entschlossen und wißbegierig, disponiert ihn für die Rolle des Spürhundes: Der Blick seiner Augen scheint jeden Verdächtigen durchdringen zu können. Hier fällt er auf ihn selbst zurück; sein Gegenüber ist blind und entzieht sich den unerbittlichen Fragen seiner Augen. Diese Irritation legt Robinson als Spur für den ganzen Film an, der reichlich mit der Täuschung des Augenscheins spielt. Conrad Halls Licht stellt die Charaktere in ein beunruhigendes Helldunkel, oft blendet grelles Gegenlicht Garcia und den Zuschauer. Der Film isoliert die Sinneswahrnehmungen, macht sie sich für die Kriminalintrige dienstbar. Das Signal einer Blinden-Ampel, das Fehlen von Glühbirnen in einer Deckenlampe werden zu Indizien, mit deren Hilfe sich Garcia vortastet.

Das Thema des Sehens und der Blindheit verführt Robinson gar zu dem kühnen Schritt, die Farbdramaturgie der Perspektive Helenas anzunähern. In der Winterlandschaft herrschen Weiß-, Grau- und schmutzige Grüntöne vor; Richard MacDonalds Ausstattung hat den Bildern alle anderen Farben entzogen. Nur manchmal leuchtet ein Rot auf, die Farbe, an die sich Helena noch erinnert.

„Jennifer 8“, Buch und Regie: Bruce Robinson, mit Andy Garcia, Uma Thurman, John Malkovich, Lance Henriksen u.a., USA 1992, 125 Min.