: Der letzte Köhler beißt auf Granit
Großflächiger Gesteinsabbau im Erzgebirge durch eine Westfirma bedroht die letzten Köhler / Kreisrat: „Bonzen Ost und West machen gemeinsam alles platt“ ■ Aus Sosa/Westerzgebirge Klaus Wittmann
Wenn über dem seit 20 Jahren stillgelegten Steinbruch bei Sosa im Westerzgebirge dicke Rauchschwaden aufsteigen, dann ist hier die Welt weitgehend in Ordnung. Daß selbst engagierte Naturschützer bei den schwarzen Rauchwolken nicht die Nase rümpfen, hat einen guten Grund. Was im alten Granitsteinbruch passiert, ist so etwas wie ein Stück noch existierender Vergangenheit. Und es ist den Menschen weit lieber als das, was hier geplant ist. Der Köhler Dieter Marggraf geht im alten Steinbruch seiner Arbeit nach. Holzkohleproduktion ist sein Geschäft. Seit 20 Jahren wird im Sosaer Steinbruch Holzkohle hergestellt. Lange Zeit geschah das in alten Meilern, von denen mitunter – bei Spitzenlast – auch heute noch einer angefeuert wird.
„Das Köhlerhandwerk hat eine lange Tradition im Erzgebirge. Es ist ein anstrengender, aber ein sehr schöner Beruf“, sagt Dieter Marggraf. Er ist einer der beiden letzten Köhler im Erzgebirge. Nach der Wende haben er und sein nur wenige Kilometer entfernt arbeitender Kollege die alten DDR-Köhlereien übernommen, in denen sie beschäftigt waren. Eine gelungene Privatisierung. „Wir haben vom ersten Moment an schwarze Zahlen geschrieben. Das Auftragsbuch ist brechend voll“, berichtet der kräftige Mann voller Stolz. Nachdem es durch die Windbrüche der letzten Jahre genügend Holz gibt, kann die Nachfrage problemlos befriedigt werden. Für Industriebetriebe, beispielsweise Gießereien, produziert Dieter Marggraf. Überwiegend aber stellt er Grillkohle her.
Die alten Meiler haben weitgehend ausgedient. Riesige stählerne Retortenbehälter ermöglichen heute ein rationelleres Arbeiten. „Die Meiler haben sechs bis acht Tage gebraucht, mußten Tag und Nacht bewacht werden. In den Retorten läuft das alles viel schneller. Da geht das in einem Tag.“ Jedes Jahr muß der Köhler ein Umweltgutachten vorlegen. Zufrieden verweist er darauf, daß ihm bescheinigt wird, daß von seinem Betrieb keine gesundheitlichen Gefahren ausgehen. Trotzdem werden Köhlereien an neuen Standorten nicht mehr genehmigt.
Daß Dieter Marggraf trotz der guten Auftragslage um seine Existenz, die seiner Familie und seiner sechs Arbeiter bangen muß, liegt nach seinen Worten an der Treuhand, dieser „meistgehaßten Einrichtung in Ostdeutschland“. Mit der Treuhand war sich der Köhler einig, daß der Pachtvertrag für den Steinbruch in einen Kaufvertrag umgewandelt wird. „Es war alles klar, ich hatte das Vorkaufsrecht, die Verträge waren unterschriftsreif“, berichtet Dieter Marggraf. Die Zornesröte steigt ihm ins Gesicht, wenn er dann von der Nacht- und-Nebel-Aktion berichtet, die all seine Arbeit zunichte zu machen droht. „Einen Tag vor der Unterzeichnung des Kaufvertrages rief mich der Rechtsanwalt der Treuhand an und teilte mir mit, daß der Vertrag geplatzt ist.“ Ein anderer Käufer sei plötzlich aufgetaucht, „ein Wessi“. Das große Bergbauunternehmen aus Westdeutschland, das im seit 20 Jahren stillgelegten Steinbruch der 2.500-Einwohner-Gemeinde Sosa wieder Granit abbauen will, bekam den Zuschlag. Vorkaufsrecht des Köhlers hin oder her. Dabei, sagt Dieter Marggraf, sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen.
Der Köhler erhält bei dieser Einschätzung Unterstützung vom Arzt und Bündnis 90/Grüne-Kreisrat Dr. Christoph Irmisch. Es hat gute Gründe, wenn der sagt, „die alten Seilschaften funktionieren noch immer. Und genau daran kranken wir auch, gehen wir vielleicht sogar zugrunde.“ Das Zusammenwirken von unbewältigter Vergangenheit im Osten und westdeutschem Großkapital sei das Problem. „Die Bonzen Ost und West machen gemeinsam alles platt.“ Christop Irmisch und Dieter Marggraf haben eine Mordswut auf den einstigen Forstdirektor von Sosa, einen alten SED-Mann, der den Steinbruch 14 Tage nach dem Pachtvertrag mit dem Köhler einfach noch einmal verpachtet hat. Just an die westdeutsche Bergbaufirma, „in der er dann plötzlich ganz zufällig in leitender Position tätig war.“ Der Köhler hofft jetzt auf eine gerichtliche Klärung, zweifelt aber selbst daran, daß ihm wirklich Gerechtigkeit widerfährt.
Im ganzen Westerzgebirge und im benachbarten Vogtland sollen großflächig Bodenschätze, vor allem Gestein, abgebaut werden. Bergbaufirmen aus aller Herren Länder sind zugange. „In einer wahren Schatzgräbermentalität fallen die über unsere Landschaft her, die doch von der Wismut schon arg gebeutelt ist“, kritisiert Christoph Irmisch. Ganze Berge sollen abgetragen werden, das Erzgebirge zu einem riesigen Steinbruch verkommen. Abertausende von Menschen haben nach den Worten des Bürgermeisters von Sosa, Bernhard Teubner, gegen die von der Staatsregierung unterstützten Pläne Bedenken angemeldet. „Weil unzählige Existenzen dadurch gefährdet sind.“ Nicht nur die beiden letzten Erzgebirgsköhler blieben auf der Strecke, sondern auch die ersten vielversprechenden Ansätze für einen aufblühenden Tourismus und damit serienweise kleine Beherbergungsbetriebe.
Die einzige Hoffnung für den Köhler und die anderen Gegner des großflächigen Gesteinsabbaus ist der massive Widerstand der Bevölkerung. Der hat nämlich den sächsischen Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) inzwischen zumindest zu einem Ortstermin und der Zusage bewogen, man werde die betroffenen Gemeinden mehr als bisher in die Planungen einbeziehen.
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