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Hämmern im Idyll

■ „Augenlied“: Internationale Sommerausstellung im mecklenburgischen Künstlerhaus Schloß Plüschow

Da versucht der Städter am Wochenende auf dem Lande Ruhe zu finden und sieht sich inmitten grüner Landschaft geräuschvollen Maschinen ausgesetzt. Doch die aggressive Installation mit den monoton hämmernden Maschinenteilen ist auch schon der lauteste Teil der diesjährigen Sommerausstellung auf dem mecklenburgischen Schloß Plüschow.

Der Potsdamer Künstler York der Knöfel ließ sich von der idyllischen Hügellandschaft um das barocke Gutshaus nicht täuschen. Hinter dem sanften Grün und am heimischen Herd sieht er alle Aggressionen keimen, die sich in den Städten entladen. Inmitten der doppelläufigen Treppenanlage steht seine „Reaktion auf die aggressive Kraft der Ruhe“: fünf lärmende Monitore im Stahlgerüst. Es ist eine elektronisch-mechanische Junggesellenmaschine, die weder der Gutgründer, der Hamburger Kaufherr Steglin, noch die mecklenburgischen Herzöge oder die sozialistischen Brigaden als spätere Nutzer sich in ihren bösesten Träumen vorgestellt hätten. Doch seit das Gebäude vor drei Jahren zum mecklenburgischen Künstlerhaus wurde, erfüllen verborgene Obsessionen und entdeckte Poesie das Haus in immer neuen Varianten.

Im Hof schnattern die Gänse, nicht ahnend, daß gerade ihnen am Abend des Eröffnungstages als letzte von fünf Performances ein Klavierkonzert mit Lesung gewidmet sein würde. Unter einem grünen Netz voller Gänsefedern gab der Dresdner Tonkünstler Wolfgang Heisig über die automatische Pianolamaschine die hochkomplexe, nur in mechanischer Notation spielbare Musik des exzentrischen Komponisten Conlon Nancarrow samt eigenen improvisierten Ergänzungen zum besten, und der Österreicher Andreas Jungwirth, Schauspieler am Theater in Dessau, rezitierte dazu von „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ über die Schlachtanweisungen einer befreundeten Bäuerin bis zu einem erotischen Text im Sinne des Marquis de Sade ein buntes Gänseklein. So schloß der Eröffnungssamstag, der mit den technoid verspielten Audio Ballerinas des Benoit Maubrey begonnen hatte, mit ein wenig zu dramatischer süd-ost-deutscher Ernsthaftigkeit.

Augenlied ist das Motto der Ausstellung, die die 1992 mit Ortszeit eindrucksvoll begonnene Serie internationaler Sommerausstellungen fortsetzt. Diesmal sind fast alle Arbeiten aus dem Grenzbereich bildender und akustischer Künste. Trotz so schlichter und poetischer Installationen wie „Fenstermusik“ des Dokumenta-erfahrenen Tonkünstlers julius ist der unmittelbare Orts- und Zeitbezug geringer als im letzten Jahr. Oder wäre es bezeichnend, daß auch in dem dreistündigen Tischkonzert für 36 Mitspieler und einen programmierenden Computer von Rolf Langebartels bei freier Wahl der Tätigkeiten durchaus handfeste Aggressionen frei wurden? Ein schöner Ort ist eben heutzutage schwer zu ertragen. Selbst die fünf schwarzen Windmühlen des Holländers Johan Goedhard, die je eine Klangsaite bespielen, werden als Totenglocken für die Natur verstanden. Goedhard hatte zudem im Dachgebälk zehn Pendel befestigt, die — nur einmal angestoßen — mittels am Boden gespannter Saiten ein elektroakustisches Konzert erschwangen, bis Bewegung und Ton zur Ruhe kamen. Zum Heulen dagegen ist BKH Gutmann zumute. Taschentücher, Wassergläser und Fotos verborgener Gesichter sind überall im Hause verteilt und mit einem Text von Aldous Huxley über „Die Kunst des Sehens“ kommentiert.

Bente Stokke aus Norwegen, zur Zeit auch auf der Biennale in Venedig vertreten, hat einundzwanzig Zinkeimer— leer, gefüllt, farbig oder mit anderen Eimern kombiniert — im Schloß aufgestellt, leeren Raum und leere Zeit zu Bedenken gebend. Im Keller werden die BesucherInnen von einer Gruppe kleiner Clowns ausgelacht, können aber in einem abseits gelegenen Raum auch Sphärenmusik lauschen. Margaret Raspé hat den Gestirnen Erde, Sonne, Mond, Jupiter, Venus und Mars aufgrund komplizierter Berechnungen Obertonreihen zugeordnet und läßt diese unsichtbar aus sechs Bienenwabenkugel gewölbefüllend erklingen. Keinesfalls übersehen werden sollte das außerhalb des Schlosses in einem Stallgebäude installierte „Stille Konzert für die Augen“. Der Physiker und Erforscher von Froschchören, Felix Hess aus Holland, hat im Dunkeln an der Decke Unmengen von „Kazebotaru“ angebracht. Diese japanisch als „Wind-Feuer-Fliegen“ bezeichneten, glühwürmchenhaft winzigen Leuchtpunkte werden von geringsten Luftdruckschwankungen gesteuert und ergeben einen ständig bewegten privaten Sternenhimmel.

Hajo Schiff

B105 Lübeck-Wismar, 5 Km östl. von Grevesmühlen nach Süden, Schildern folgen, tägl. 11-18 Uhr, bis 15. 8.

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