Kinder an der Kasse abgeben

Nach dem unschönen Abgang eines gewissen Herrn Kurz probt das „Theater am Kurfürstendamm“ seine Wiederauferstehung. Mit Kinderbetreuung und Shuttle-Service soll die Boulevard-Bühne zu neuem Erfolg getragen werden  ■ Von Klaudia Brunst

Die BVG-Busse, die arme Journalistinnen zu Pressekonferenzen auf den Ku'damm bringen, werben noch immer in großen Lettern für „Marlene“, das Musical der neunziger Jahre. Aber seit zwei Wochen schallt aus dem Theater am Kurfürstendamm keine Antwort mehr auf die Frage, wo die Blumen sind. Der Spielbetrieb im Theater am Kurfürstendamm ist derzeit eingestellt. Nur für die zahlreich erschienene Journalistenschar öffnet Hausherr Jürgen Wölffer an diesem Donnerstag das Foyer seines Hauses.

In einer dunklen Nacht hatte Friedrich Kurz sein Jahrhundertprojekt endgültig für gescheitert erklärt: Zu mager waren die Auslastungzahlen, zu groß die finanziellen Verbindlichkeiten, als daß seine „Marlene“ die Jahrtausendwende je hätte erreichen können. „Herr Kurz hat etwas gewagt“, kommentiert Jürgen Wölffer, Hausherr des Theaters am Kurfürstendamm, das Unternehmen seines Ex-Kompagnons. Da könne man natürlich auch einmal am Publikumsgeschmack scheitern. Staatstheatern passiere das schließlich in schöner Regelmäßigkeit.

Viel schmerzlicher als das schon lange absehbare künstlerische Desaster ist für den alteingesessenen Boulevard-Impressario Wölffer die Tatsache, daß es Herrn Kurz jetzt offenbar „an Verantwortungsgefühl“ mangelt. „Vielleicht hat er dieses Geschäftsgebaren am Broadway gelernt“, mutmaßt Wölffer, der nun seine Anwälte damit beschäftigt, das ihm vertraglich zugesicherte Geld einzutreiben.

Jeden Tag kostet ihn das geschlossene Haus 12.000 DM. Neben der Miete summieren sich die laufenden Kosten für das festangestellte technische Personal, für die laufenden Kredite der Umbau- und Sanierungskosten und für solche Dinge wie die Bereitstellung der Feuerwehr. Genau diese Kosten habe er an den Jahrtausendpächter Kurz weitergegeben, betont Jürgen Wölffer. Denn aus dem abgetauchten Nichts läßt Friedrich Kurz immer wieder vermelden, sein Vermieter habe sich an der horrenden Miete auf Kosten der „Lighthouse Musical GmbH“ bereichert.

Als der arme Wolf vor fast einem Jahr den Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte, waren die beiden Kontrahenten noch beste Freunde. Damals stand es äußerst schlecht um die Berliner Boulevard-Bühnen, Friedrich Kurz gebärdete sich als der rettende Onkel aus Amerika, Jürgen Wölffer mußte ihm für seine Theaterokkupation sogar noch danken.

Die sozialen und kulturellen Wirrnisse der Wiedervereinigung hatte auch die Wölffer-Bühnen erfaßt. Die Auslastungszahlen der drei Spielstätten „Theater am Kurfüstendamm“, „Komödie“ und „magazin“ gingen bedrohlich zurück. Und als gänzlich unsubventioniertes Privathater konnte Wölffer eben „nur ausgeben, was an der Kasse eingenommen wird“. Als die Reserven aufgebraucht waren, und den Wölffers auch noch eine sechzigprozentige Mieterhöhung ins Haus flatterte, mußte ein rettender Helfer her. Wölffer telefonierte herum, geriet schließlich an eine Geheimnummer aus London: Friedrich Kurz, der schwäbische Musicalzar, zeigte sich großzügig.

Verträge wurden geschlossen, Einigkeit simuliert. An einer nun sehr bedeutungsvollen Kleinigkeit wäre der Pachtvertrag seinerzeit fast gescheitert. Jürgen Wölffer hatte auf eine finanzielle Sicherheit bestanden, 1 Million Mark wurde auf ein Sperrkonto transferiert. Geld, das nun zur Tilgung der aufgehäuften Pachtrückstände genutzt werden muß.

Aber die Kosten für das Muscial-Desaster sind damit noch lange nicht getilgt. Allein der Rückbau der Bühne wird schätzungsweise 250.000 Mark kosten, die techischen Anlagen, allesamt geleast oder von der Volksbühne an der Schaperstraße geliehen, müssen wieder abgeholt werden. Die Wölffers, die jetzt den Spielbetrieb ihres Haupthauses wieder in die eigene Hand genommen haben, hatten im vergangenen Jahr alle Verträge mit den Besucherorganisationen gekündigt. Jetzt muß man wirklich Theater im freien Fall machen.

Aber die Krise des Boulevardtheaters, so der alte neue Hausherr, ist offenbar überwunden. Die Auslastungszahlen in der Komödie steigen wieder. In aller Eile hat man einen ganz soliden Spielplan für die Hauptbühne erstellt. Mit großen Namen starten die Wöffers in die neue Theatersaison: Harald Juhnke, Ilja Richter, die Kessler- Zwillinge und Inge Meysel werden am Ku'damm ihr Können zeigen, und mit Vorfreude gibt die Direktion bekannt, daß man in konkreten Verhandlungen mit Jerome Sevary steht. Eine Goldini-Komödie soll es werden.

„Wir freuen uns auch, unser Haus jetzt wiederzuhaben“, erklärt Wölffer und versucht sich an einem strahlenden Lächeln. Viel professioneller smartet der braungebrannte junge Mann zu seiner Rechten. Jürgen Ross, ein gelernter Marketingfachmann, hat gerade die PR-Arbeit für die Boulevardbühnen übernommen. Mit grellgelben Faltblättern und einem breitgestreuten Service-Dienst will er den Gang ins Boulevardtheater wieder attraktiver machen. Bus- Shuttles bringen jetzt schon die Potsdamer Theaterwilligen kostenlos von Stadt zu Stadt, auch mit Frankfurt an der Oder gibt es bereits Transferverbindungen. Erfurt und Weimar sollen folgen.

„Mit Kind und Kegel“ nennt Jürgen Ross, der sein Handwerk einst bei Hoechst lernte, ein besonderes Angebot, das man sonst nur von einem schwedischen Möbelhaus kennt: Jeden Samstag können junge Eltern und Alleinerziehende ihre Kinder an der Kasse abgeben. Während die Eltern sich komödiantisch schlapplachen, werden ihre Kids mit Kakao und Würstchen pädagogisch betreut. Ein Erfolgskonzept, wie Jürgen Ross betont, schon kommen die ersten Telefonanrufe von den Grandhotels vis-à-vis. Wenn im Kempinski kein Babysitter zu kriegen ist, kommt der Portier schon mal auf die rettende Idee, den Eltern eine Theaterkarte schmackhaft zu machen.