piwik no script img

Dienst auf unsicherem Boden

■ Zwischen den privaten Wachschutzunternehmen in der Stadt herrscht ein gnadenloser Wettbewerb / Kritiker warnen vor Konflikten mit den hoheitlichen Aufgaben der Polizei

Sie werden immer mehr, die Männer und Frauen in den Phantasieuniformen der Wach- und Sicherheitsunternehmen. Nicht nur die BVG, Kaufleute, Banken oder Versicherungen nehmen ihre Dienste in Anspruch. Selbst auf dem Gelände einer Institution wie der FU, das sich der Freiheit des Geistes verschrieben hat, schieben sie Wache.

Keine Frage: Die Branche boomt. Nach Angaben des Bundesverbandes der Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) aus Bad Homburg waren in der Hauptstadt bis zum Ende vergangenen Jahres 14.516 Mitarbeiter bei der für die Branche zuständigen Verwaltungsberufsgenossenschaft gemeldet. Rund ein Viertel, so schätzt BDWS-Geschäftsführer Harald Olschok, seien allerdings Teilzeitkräfte mit kurzfristigen Verträgen: „Wenn wir diese Zahl abziehen, kommen wir in Berlin auf einen Stamm von 10.000 bis 11.000 Beschäftigten.“ Die Konkurrenz auf dem Markt ist hart, wie Olschok meint: „Hier wird mit harten Bandagen gekämpft, das zu verschweigen, wäre unsinnig.“

In Westberlin gilt laut BDWS ein Mindesttariflohn von 11,34 DM pro Stunde – bei einer Arbeitszeit von maximal 60 Stunden pro Woche. Doch in der Praxis werden solche Maßstäbe von vielen nicht eingehalten. Helmut Schödler von dem Privatunternehmen „Berliner Wache“, das seit Anfang des Jahres in Berlin Streifendienste in Villenvierteln anbietet, weiß aus Gesprächen mit Bewerbern, daß manche Unternehmen Stundenlöhne von neun Mark auszahlen. Der Ex-Polizist, der acht Jahre lang in Wilhelmshaven die Schutzpolizeiinspektion leitete, hält diese Zustände für unzumutbar: „Ich bin wirklich entsetzt, was sich in Berlin abspielt. Das sind frühkapitalistische Methoden.“

Manche Mitarbeiter, die schon bei anderen Unternehmen beschäftigt waren, hätten von einem 300-Stunden-Dienst im Monat berichtet. „Solche Zustände schlagen auf die Branche zurück. Die Leute sind übermüdet, die hören und sehen doch gar nichts mehr. Sicherheit ist da kaum noch zu gewährleisten“, erregt sich Schödler. Die Berliner Wache ist sichtlich bemüht, den schlechten Ruf der Branche abzustreifen. Noch befindet sich die 80 Festangestellte zählende Truppe in der Testphase, wird den interessierten Kunden gezeigt, „wie es einmal aussehen könnte“. Das Problem sei, genügend Kunden auf engstem Raum zusammenzubekommen, damit sich der Streifendienst überhaupt rechnet, sagt Schödler.

Der 62jährige selbst bildet seine Mitarbeiter in juristischen Fragen aus: „Ich bin immer wieder erschüttert, daß man die Leute ohne die elementarsten Rechtskenntnisse auf die Straße läßt.“ Dem stimmt auch Olschok vom BDWS zu. Es reiche nicht aus, daß Einzelpersonen nach dem Paragraphen 34a der Gewerbeordnung nur durch die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses und dem Nachweis über ihre finanzielle Solidität ein Wachunternehmen anmelden könnten. Ohne Erfolg ist bislang eine seit über zehn Jahren gebetsmühlenartig wiederholte Forderung der BDWS nach einem sogenannten Fachkundenachweis für die Branche geblieben. Das Bundeswirtschaftsministerium lehnt einen Fachkundenachweis, der neben juristischen auch betriebswirtschaftliche Schulungen vorschreiben soll, mit dem Verweis auf die Berufs- und Gewerbefreiheit nach Artikel12 des Grundgesetzes ab.

Im Alltag zieht das Gesetz den Möglichkeiten der Wachschutzunternehmen enge Grenzen. Zugriffsmöglichkeiten und Ordnungsmaßnahmen auf öffentlichem Straßenland, wie sie die Polizei hat, stehen den Privaten nicht zu. Ihnen bleiben nur die sogenannten Jedermanns-Rechte – beispielsweise das Hausrecht auszuüben und einen Besucher aus dem Privatgebäude oder -gelände zu weisen. Die rechtliche Stellung der privaten Wachschutzunternehmen will nun die Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP) vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe prüfen lassen. Mit Sorge betrachtet der Berliner GdP-Vorsitzende Burkhard von Walsleben die zunehmende Tendenz, „daß private Sicherheitsdienste in die hoheitlichen Befugnisse der Polizei hineingreifen“. Von der Klage, deren Zulässigkeit noch vom BVG geprüft wird, erhofft er sich „eine höchstrichterliche Klarstellung, was erlaubt ist und was nicht“.

Belastet wird das Verhältnis zwischen öffentlichen und privaten Ordnungshütern zudem durch den Umstand, daß die Sicherheitsunternehmen bislang ihre Einsatzorte nicht – wie etwa in Frankreich oder Belgien – der Polizei melden müssen. Mittlerweile haben von 222 Berliner Unternehmen laut GdP 27 die Erlaubnis, eine Waffe zu tragen. Ein Umstand, der zu brenzligen Situationen führen kann. Erst kürzlich trafen im Bereich der Direktion 4 (Schöneberg/ Zehlendorf) nachts Wachschutzpolizisten auf bewaffnete „Kollegen“ eines privaten Unternehmens. Nur dem „besonnenen Verhalten der Polizeikräfte“ sei es zu verdanken, daß „die Situation nicht eskalierte“, so der stellvertretende GdP-Landesbezirksvorsitzende Jürgen Radloff. Severin Weiland

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen