: UN will keine islamischen Blauhelme
Das Angebot der islamischen Staaten, UN-Truppen für Bosnien bereitzustellen, verschärft das selbst verschuldete Dilemma der Vereinten Nationen auf dem Balkan erheblich ■ Aus Genf Andreas Zumach
Mit dem Angebot der Staaten der „Islamischen Konferenz“, knapp 18.000 Soldaten für die Aufstockung der UN-Schutztruppen (UNPRPOFOR) in Bosnien-Herzegowina bereit zu stellen, droht eine erhebliche Belastung der Beziehungen zwischen mehrheitlich islamischen und christlichen, bzw. orthodoxen Ländern. Verhindern die westlichen Staaten und Rußland im UNO-Sicherheitsrat weiterhin die Stationierung islamischer UN-Soldaten in Bosnien, so kommt es zumindest zu einer politischen Konfrontation. Werden aber etwa iranische UN-Soldaten in Bosnien stationiert, dürften diese sich sehr viel massiver für das Überleben der dortigen Muslime einsetzen als die bisherigen UN- Blauhelme. Bewaffnete Auseinandersetzungen der UNPROFOR mit Serben und Kroaten wären zwangsläufig die Folge.
Hintergrund der Diskussion um ein islamisches UN-Kontingent ist das Dilemma der UN-Politk in Ex- Jugoslawien, da kaum größer sein könnte. Mitte Mai hatten die für die Planung von Friedensmissionen zuständigen Experten im New Yorker Büro von UNO-Generalsekretär Butros Butros Ghali eine Verstärkung der bis dato rund 8.000 in Bosnien stationierten UNPROFOR-Soldaten aus Großbritannien, Frankreich, Spanien, Schweden, Rußland und der Ukraine um 32.000 Mann für unerläßlich erklärt. Nur durch ein Aufgebot dieser Größe sei die Auslieferung der Hilfslieferungen für die bosnische Bevölkerung sowie die am 24. Mai vom Sicherheitsrat beschlossenen sechs „Sicherheitszonen“ durchzusetzten. In Verhandlungen mit dem Sicherheitsrat ließ sich dann Ghali 7.600 neue Soldaten herunterhandeln. Mehr seien auf die Schnelle eben nicht aufzutreiben, hieß es dazu.
Doch schon am Tag nach dem entsprechenden Beschluß offerierten Pakistan, Bangladesch und die Türkei einige tausend Soldaten. Ein Angebot, daß in New York auf taube Ohren stieß, zumal im Laufe der Beratungen eine Reihe westeuropäischer Länder dem UNO- Generalsekretär die Entsendung von insgesamt 7.600 Soldaten in Aussicht gestellt hatten.
Nur 800 von 7.600 Blauhelmen kamen an
Acht Wochen später hat lediglich Frankreich sein Versprechen erfüllt und 800 neue Soldaten nach Bosnien geschickt. Schweden zog sein Angebot über 560 Soldaten Ende Juni aus Verärgerung über die von Ghali angeordnete Abberufung des von den Serben abgelehnten schwedischen UNPROFOR-Generals Wahlgren zurück. Die Regierung in Stockholm hält das Mandat der UNPROFOR-Truppen zudem für „unklar“ und „erweiterungsbedürftig“. Ähnlich argumentierte die finnische Regierung, die zeitglich ihr Angebot (850 Soldaten) zurückzog.
Die Entsendung von UN-Truppen aus anderen Ländern, die Soldaten zugesagt hatten, scheiterte bislang an der desolaten Finanzlage der UNO. Die Kosten der Friedensmissionen im ehemaligen Jugoslawien waren bereits im ersten Halbjahr fast so hoch, wie ursprünglich für ganz 1993 budgetiert worden war. Viele Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind gegenüber der UN-Kasse für Friedensmissionen im Zahlungsrückstand – die USA allein mit 178 Millionen US-Dollar. An diesem Geldmangel scheitert bisher auch eine bessere Ausstattung der bereits in Bosnien stationierten UNPROFOR-Soldaten mit gepanzerten Fahrzeugen und Gerät, die UNO-Vermittler Thorvald Stoltenberg in der Nacht zum Mittwoch vor dem UNO-Sicherheitsrat als „dringend“ anmahnte.
In dieser Situation ist das neue Angebot der islamischen Staaten nicht mehr so einfach durch Schweigen aus der Welt zu schaffen, zumal sich die Situation in Bosnien-Herzegowina insbesonders für die muslimische Bevölkerung seit Mitte Mai noch einmal dramatisch zugespitzt hat. Am Dienstag warnten Stoltenberg und Ghali gar offen vor einem eventuell unvermeidbaren Rückzug der UNPFROFOR – und damit aller humanitären Operationen. In Washington, London, Paris und Moskau herrscht offenbar die Sorge, daß einmal stationierte islamische UNPROFOR-Soldaten sich ernsthaft für die Durchsetzung der einst auch von den westlichen Staaten und Rußland hochgehaltenen Prinzipien einsetzen könnten.
Die Erklärung der „Islamischen Konferenz“ vom Dienstag, wonach „die serbische Agression“ durch „den Abzug aus allen Gebieten, die durch Gewalt, Genozid und ethnische Säuberungen erobert wurden“, gestoppt werden müsse, verstärkte diese Sorge. Offiziell hieß es im US-Außenministerium am Mittwoch zwar, die „Zusammenstellung der UNPPROFOR“ sei „Sache der UNO“ und Washington werde „Angebote einzelner Staaten nicht kommentieren“. Inoffiziell jedoch erklärten US-Regierungsvertreter, zumindest das Angebot Irans zur Entsendung von 10.000 Soldaten schaffe „schwere Probleme“. Auf Widerspruch in Washington und anderen westlichen Hauptstädten stoßen auch die Offerten der PLO (1.000) und der Türkei (eine Brigade). Letzteres wird der Sicherheitsrat möglicherweise mit dem Hinweis auf die unmittelbare Nachbarschaft der Türkei zu Ex- Jugoslawien ablehnen.
Islamische UN-Soldaten als dritte Kriegspartei?
Selbst ein von Ankara schon vor Wochen bereitgestelltes Flugzeug mit Crew für Hilfsflüge nach Sarajevo hat das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) auf Druck Frankreichs bis heute nicht akzeptiert. Die Eingliederung kleinerer Truppenkontingente aus Pakistan, das 3.000 Soldaten angeboten hatte oder aus Malaysia (1.500), Bangladesh (1.200) und Tunesien (1.000) in weiterhin von westlichen Kommandeuren befehligte UNPROFOR-Verbände wird in westlichen Hauptstädten schon eher für denkbar gehalten.
Allerdings ist nicht damit zu rechnen, daß die „Islamische Konferenz“ eine Ablehnung ihres Angebots oder auch nur eine Selektion „akzeptabler“ Truppen durch Rußland und die westlichen Staaten im Sicherheitsrat kommentarlos hinnimmt. Die Regierungen der meisten islamischen Staaten, die in den ersten elf Monaten des Bosnien-Krieges den dortigen Muslimen lediglich verbale Unterstützung und einige wenige Millionen Dollar zukommen ließen, stehen unter dem wachsenden Druck vor allem fundamentalistischer Oppositionsgruppen, sich stärker zu engagieren. Noch bis zum April dieses Jahres konnten sie der eigenen Bevölkerung einigermaßen den Eindruck vermitteln, bei der von UNO und EG verantworteten Genfer Jugoslawienkonferenz fänden auch die Interessen der bosnischen Muslime Berücksichtigung.
Dies gelang nicht zuletzt, in dem Berichte der Genfer Korrespondenten islamischer Medien von kritischen Tönen bereinigt wurden. Seit jedoch der Vance-Owen- Plan auch offiziell nicht mehr auf dem Genfer Verhandlungstisch liegt und die beiden Vermittler Stoltenberg und Owen den bosnischen Muslimen die serbisch-kroatischen Dreiteilungspläne aufzuzwingen suchen, läßt sich auch mit Mitteln der Zensur nicht mehr länger kaschieren, worauf die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina hinausläuft.
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