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Nippons Reform ohne Frauen

Japans politischer Wandel enttäuscht die Frauen / Meist servieren sie den Wahlkampfstrategen den Tee / Doch die Stimmen für die neuen Parteien kommen vor allem von ihnen  ■  Aus Nagano Chikako Yamamoto

„Der Berg hat sich bewegt.“ Takako Doi, die ehemalige Chefin der Sozialdemokratischen Partei Japans, drückte mit diesem berühmt gewordenen Ausspruch ihre Hoffnung auf eine neue Ära der Politik aus. Das war im Februar 1990, als ihre Partei bei den Parlamentswahlen zum Unterhaus so gut wie nie in den letzten 20 Jahren abschnitt. Die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) erreichte zwar noch knapp die absolute Mehrheit. Doch die Zeichen standen auf Veränderung.

Doi, die erste Parteiführerin in der japanischen Geschichte, verkörperte die Hoffnung der Frauen. Überall, wo sie auftrat, wurde sie von vielen tausend Frauen bejubelt. Deren Stimmen waren es gewesen, die so viele Frauen wie nie zuvor ins Parlament schickten. Gerade hatte die Regierung entgegen allen Versprechungen eine neue Mehrwertsteuer durchgesetzt, was besonders die Frauen ärgerte. Auch der Recruit-Aktien-Skandal, in den mehrere Politiker einschließlich des damaligen Premierministers Noboru Takeshita verwickelt waren, erregte das Mißtrauen der Bürgerinnen.

„Madonna-Bewegung“ tauften die Medien halb spottend die politisierten Frauen. Niemand aber konnte übersehen, daß die Frauen eine neue, unkalkulierbare Wählergruppe bildeten, die sich, anders als die Männer, frei von den herkömmlichen Loyalitäten zu Firmen und Parteien bewegte. Nippons Frauen, die sich, was die Politik betraf, lange hinter den Männern versteckten, haben seither nicht zurückgesteckt. Sie interessieren sich für Politik und betrachten sie kritischer als die meisten Männer. Sie haben zuerst gemerkt, daß die im Parlament sitzenden Männer sich um ihre täglichen Probleme überhaupt nicht kümmern. Tatsächlich hat Japans skandalgeschüttelte Politik wesentliche Felder wie Erziehung, Gesundheit oder Umwelt ignoriert.

In etlichen Kommunen und Regionen haben sich Frauen deshalb für die politische Selbstorganisation entschieden und eigene Kandidatinnen, meist aus den Reihen von Verbraucherorganisationen, in die lokalen Parlamente wählen lassen. Der Alltag scheint deshalb immer noch zu bestätigen, daß nur Frauen, wenn denn überhaupt, die stagnierende, von Männern dominierte Politik ändern können.

Doch heute, dreieinhalb Jahre nach ihren großen Erfolgen, führt Takako Doi einen einsamen Wahlkampf in der Provinz. Die Abgeordnete, die mangels Unterstützung in der eigenen Partei nach einer verlorenen Tokioter Wahl 1991 vom Parteivorsitz zurücktreten mußte, klappert in ihrem Wahlkreis Hyogo, westlich von Osaka, jede Gasse ab, um um Stimmen zu werben – was für die renommierte Politikerin einer Schmach gleichkommt. Doch Doi kämpft ums politische Überleben. Mehrere der Sozialistin zuvor treue Gewerkschaften haben ihr zum ersten Mal die Unterstützung aufgekündigt. Für die Arbeiterorganisationen ist die der Bürgerbewegung nahestehende Frau zu radikal geworden. Die im Dachverband Rengo integrierten Gewerkschaften wollen nun lieber mit den neuen konservativen Parteien zusammengehen. Im Hyogo unterstützen sie deshalb die ehemalige Fernsehmoderatorin Yuriko Koike von der Neuen Partei Japans (JNP), die ausgerechnet im Wahlkreis von Doi kandidiert.

„Die ganzen politischen Ereignisse haben wieder deutlich gemacht, daß Politik in Japan eine Männerwelt ist und bleibt“, bemerkt Etsuko Yamashita, Dozentin für Frauengeschichte an einer Tokioter Universität. „In jeder politischen Szene sehe ich nur noch Männer. Nur Männer sind aus der LDP ausgetreten, die sowieso keine einzige Frau im Unterhaus hat. Nur Männer haben die neuen Parteien gegründet. Männer diskutieren jeden Tag im Fernsehen über Reform. Keine einzige Frau ist dabei zu sehen. Das macht mich gegenüber den Veränderungen skeptisch.“ Die Historikerin empfiehlt den Politikern deshalb, bei den Reformen mit der Gleichstellung von Frau und Mann anzufangen. Ob sie am Sonntag wählen geht, weiß Yamashita noch nicht.

Frauen stellen den mit Abstand größten Teil der Wechselwähler. Da sich die Sozialdemokraten inzwischen selbst einer glaubwürdigen Parteiführung beraubt haben, suchen viele Frauen nach einer neuen Alternative zur LDP. Parteien wie die JNP und die vom ehemaligen Finanzminister Tsutomu Hata kürzlich gegründete Erneuerungspartei (JRP) haben ihren Wahlkampf deshalb weitgehend auf die Wählerinnen ausgerichtet.

In dem Kleingewerbeort Mishima am Fuße des Fujis tritt der Wahlkämpfer Hata bereits in außergewöhnlicher Manier auf. Er trägt einen auffallenden Sommeranzug mit kürzen Ärmeln und begründet das mit Japans feucht-heißem Sommerklima. „Finden sie es nicht auch komisch“, fragt der frühere LDP-Politiker sein in der Sonne schwitzendes Publikum, „daß alle Japaner auch jetzt noch ihren dicken Anzug tragen?“ Hata, der seinen Wählern immer wieder mehr Freiheit im menschlichen Umgang nahelegt, bringt damit vor allem die Frauen zum Schmunzeln. Zudem wählt der neue Parteichef eine direkte Sprache, die unter Politikern ungewöhnlich ist. Die alten, bis vor kurzem allmächtigen Politiker der LDP redeten bewußt in komplizierten, altjapanischen Wendungen, die der einfache Bürger nicht verstehen sollte. Ganz anders Tsutomu Hata: Von der Reform über die Korruption bis zur japanischen Kriegsschuld läßt er kein unbequemes Thema aus.

Yasuko Hata, die seit 28 Jahren mit Tsutomu Hata verheiratet ist, kann diese Politik gemeinsam mit ihrem Mann vertreten: „Hauptsache ist, daß er tut, was er für richtig hält. Das heißt, den Bürgern endlich eine Alternative zur Einparteienherrschaft der LDP anzubieten. Das führt auch aus meiner Sicht zur echten Demokratie.“ In der Präfektur Nagano in den japanischen Alpen leitet Yasuko Hata diesmal allein den Wahlkampf ihres Mannes, weil der als Parteichef im ganzen Land herumreist. „Mein Mann betrachtet Frauen als seine Kameradinnen“, sagt Yasuko Hata. Die selbstbewußt wirkende Frau steht gerade und erzählt stolz von ihrer Partei. Es stört sie offenbar nicht, daß neben ihr die Wahlhelferinnen laufen, um den Männern Tee zu servieren, die in der Runde sitzen und über Wahlkampfstrategien diskutieren.

Vor dem Bahnhof von Ueda, der kleinen Alpenstadt, aus der die Hatas kommen, spielen die Rockgruppen einer Uni in Nagano. Hinter dem Schlagzeug sitzt eine Studentin und gibt souverän den Takt an. Die junge Frau, die nicht aus der gleichen Gegend stammt, berichtet über den lokalen Helden Hata, der als Kandidat der Opposition durchaus Chancen hat, nach der Wahl Premierminister zu werden: „Er ist jetzt sehr populär und strahlt tatsächlich etwas Charisma aus. Viele Leute finden es aber nur gut, daß einer aus dieser Präfektur Parteichef geworden ist. Sie sind ähnlich wie die Fans, die irgendwelchen populären Sängern hinterherlaufen. Sie interessieren sich nicht wirklich für das, war er inhaltlich sagt.“

Ganze zwölf Frauen schafften 1990 den Einzug ins Unterhaus – davor waren es nur sieben. Und am Sonntag? Kuniko Funabashi, Mitarbeiterin eines Fraueninstituts in Tokio, macht sich keine Illusionen: „Wir Frauen sollten diese Wahl verlorengeben und Kraft für den Zeitpunkt sammeln, wo sich die Politikbegeisterung der Männer wieder in Müdigkeit wandelt.“

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