: Eine Leiche mit Vermögen im Osten
■ Die alte IG Farben der Nazis macht neue Gewinne
Berlin (taz) – Seit sieben Jahren gehört der Auftritt von Hans Frankenthal zum Ritual der Aktionärsversammlung der IG Farben. Seit sieben Jahren erntet Frankenthal mit seiner Forderung, die Aktiengesellschaft endlich aufzulösen, nur müden Spott. Manchmal ruft auch jemand lauthals, man solle den Mann endlich rausschmeißen.
Aber Hans Frankenthal, der als Jude in Auschwitz war und dort für die IG Farben arbeiten mußte, ist heute selbst Aktionär, und er macht nichts anderes, als die Gesellschaft an ihre eigene Satzung zu erinnern, die die Auflösung der Firma vorschreibt. Doch die Mehrheit der Aktionäre will davon heute weniger denn je wissen. Denn in der IG Farben riecht es wieder nach Profit. Die Gesellschaft erhebt Ansprüche auf 150 Millionen Quadratmeter Land auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.
1952 wurde die I.G. Farbenindustrie AG gegründet. Ihren Auftrag hat die Aktiengesellschaft „in Abwicklung“ seither nicht erfüllt: nämlich die Reste des berüchtigten Nazi-Konzerns IG Farben aufzulösen und mit dem Geld die ehemaligen Zwangsarbeiter zu entschädigen. Während des Krieges hatte die IG Farben, damals der größte Chemiekonzern der Welt, 30.000 Zwangsarbeiter aus den Konzentrationslagern für sich arbeiten lassen.
Allein bei Auschwitz, wo sich der Konzern von KZ-Häftlingen ein neues Werk errichten ließ, schufteten sich 25.000 Zwangsarbeiter zu Tode. Kein Unternehmen war so eng mit der Nazi-Herrschaft verflochten wie die IG Farben.
Als der Kriegsgigant nach 1945 von den Alliierten in seine Einzelteile zerschlagen wurde, entstanden daraus die Chemiefirmen Bayer, Hoechst und BASF.
Mit der Abwicklung des Restvermögens ließen sich die Liquidatoren von der IG Farben i.A. Zeit. Statt die Leiche so schnell wie möglich zu begraben und das Gesellschaftsvermögen von 140 Millionen Mark satzungsgemäß als „Schadensersatzleistungen an die durch die Aktivitäten des Kartells geschädigten Personengruppen“ zu zahlen, klammerten sich Liquidatoren und Aktionäre an die Hoffnung, daß vielleicht doch noch irgendwo Vermögensteile des Nazi-Konzerns schlummern.
Nach fast 40 Jahren wurden sie fündig. Seit der Wende sind die Aktienkurse der IG Farben AG i.A. um weit mehr als das Doppelte gestiegen — es winken Milliardengewinne. Bei den Vermögensämtern in Bitterfeld, Buna, Leuna und anderen Chemiestandorten hat der Vorstand Ansprüche angemeldet, durch die – sollten sie anerkannt werden – die IG Farben zum größten Grundbesitzer Deutschlands würde.
Die Chancen für die Spekulanten stehen allerdings nicht besonders gut. Denn Enteignungen, die in die Zeit zwischen 1945 und 1949 fallen, sind aus besatzungsrechtlichen Gründen von Rückgabe und Entschädigung ausgenommen. Die IG-Farben-Vorständler bauen darauf, daß eine Reihe von Enteignungen zwar unter sowjetischem Besatzungsrecht beschlossen, aber möglicherweise erst nach 1949 verfügt wurden.
Wie auch immer die Verwaltungsgerichte entscheiden werden, an dem Geld hängt der Leichengeruch von Auschwitz. Die kritischen Aktionäre um Hans Frankenthal forderten am Wochenende zusammen mit der Lagergemeinschaft Auschwitz, daß die Abwicklung endlich abgeschlossen und das Gesellschaftsvermögen an die Stifung Auschwitz überwiesen werden soll.
Sie ließen sich auch von einem Angebot der Aktionärsmehrheit nicht überzeugen: Von allem, was die IG Farben im Osten zurückbekommt, sollen fünf Prozent für die Entschädigung von Zwangsarbeitern bereitgestellt werden. Bis heute warten die KZ-Häftlinge vergeblich auf Wiedergutmachung. Seit die IG Farben in den 50er Jahren einen einmaligen Betrag von 30 Millionen Mark an jüdische Stiftungen gezahlt hat, halten die Aktionäre die Sache für erledigt. Alois Berger
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