■ Press-Schlag: Die Germanen spinnen
Die Römer, die mögen zwar meistens spinnen, doch eines können sie gut: Athleten nominieren. Sie schicken einfach den mit Muskeln am dicksten bepackten bodygebuildeten einzig wahren V-Mann Claudius Musculus zu den Olympischen Spielen. Und die Gallier? Außer daß diese wieder nur ans Essen denken, und der römische Champion, kaum daß er auserkoren, für Champignonsuppe à la française herhalten soll, tut sich das kleine Dorf ungleich schwerer. Dank des Zaubergebräus aus des Druiden Labor, ist die gallische Qualifikation so spannend wie Speerwerfen ohne Speer. Beim Teutates, siegen tun ohnehin alle, denn alle sind gleich stark. Sehr zum Gefallen von Häuptling Majestix, der die modernste aller Sport-Interpretation abliefert: „Das ist es, was ich unter Sport verstehe – keinerlei Ungewißheit.“
Und was machen die Deutschen 2.000 Jahre später bei der Nominierung für die heiligen Spiele der Welt, genannt Weltmeisterschaften? Die Germanen eifern den Römern nach – sie scheinen zu spinnen. In manchen – den meisten – Disziplinen wären sie froh, sie hätten einen Claudius Musculus, in anderen wiederum können sie sich nicht entscheiden, wen sie denn nun zur sportlichen Repräsentation ihrer vielen Dörfer gen Stuttgart entsenden sollen.
So im Weitsprung. Da gibt es einen Dietmar Haaf, seines Zeichens Europameister aus Kornwestheim und lange verletzt, einen Deutschen Meister aus Karlsruhe, namens Georg Ackermann, dessen 8-m-Sprung vom Winde verweht war, einen Konstantin Krause aus Leverkusen. Weitere Sandhüpfer sind namentlich unbekannter – Bernhard Kelm (Wasserburg), Christian Thomas (Heppenheim), André Müller (Rostock) und Thorsten Heide (Hannover) – haben aber alle in diesem Jahr die Norm von acht Metern erfüllt.
Was tun? Tja, eigentlich waren die Germanen schlauer als ihre Vorfahren, haben Nominierungskriterien mit einer richtig schönen Satzung aufgestellt. Vorher. Doch nachdem alle Ausscheidungswettkämpfe vorbei waren, haben sie beschlossen, sie bräuchten noch einen, einen allerletzten. Der Häuptling für den Leistungssport, Horst Blattgerste: „Das Leistungsbild der sieben ist einfach nicht stimmig.“ Mal seien sie gut, mal schlechter. Der Häuptling für den Weitsprung, Hansjörg Holzamer, hatte sich stur an die Satzung gehalten. In seiner Rangliste tauchten die drei Springer, die bei den Deutschen Meisterschaften ohne Windunterstützung am besten sprangen, auf. Doch beim Teutates, wer bitte ist Kelm, wer Thomas, den Holzamer, man muß es sagen, in Heppenheim als Heimtrainer betreut, wer Heide?
Eben. So sprachen die Oberhäuptlinge vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) ein Machtwort. Alle sieben sollten sich neu qualifizieren, am 30. Juli bei den Süddeutschen Meisterschaften in Stuttgart. Horst Blattgerste: „Wir können es uns nicht leisten, unsere Medaillenkandidaten auszusieben wie die Amerikaner bei den Trials.“ Hugh, er hat gesprochen. Bundestrainer Holzamer seinen Rücktritt erwogen, mit einer Klage gedroht („das wurde alles hochgekocht“). Und gestern braute der DLV ein neues Süppchen: Das jüngste germanische Nominierungs-Rezept sieht vor: Fünf Springer buhlen zwei Wochen vor der WM noch um den dritten WM-Platz. Lediglich Bernhard Kelm und Christian Thomas, vorausgesetzt, letzterer kuriert seine Verletzung aus, wissen, daß sie bis zur WM nicht Wildschweine jagen, sondern trainieren sollten, sie sind fest nominiert.
Frei nach Majestix: „Keinerlei Ungewißheit, das ist es, was ich unter Sport verstehe.“ Cornelia Heim
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