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Unruhige Zaungäste beim Bruderkampf

Der Bürgerkrieg im mittelasiatischen Tadschikistan ist auf dem besten Weg, zu einem regionalen Konflikt von unabsehbarer Tragweite zu werden. Immer wieder beschießen Regimegegner von Afghanistan aus tadschikisch-russische Grenzsoldaten.

„Alle Bewegungen, alle Unruhen werden künftig von unserem Iranak ausgehen“, sagte vor zwei Jahren der tadschikische Oppositionsführer Schademan Jusef, Chef der inzwischen verbotenen Demokratischen Partei. „Iranak“, „Klein-Iran“, wie die Tadschiken ihre Republik nicht ohne Stolz nennen, ist tatsächlich zu einem Unruheherd in Mittelasien geworden.

Seit zwei Jahren tobt nun in dem Armenhaus der einstigen Sowjetunion ein blutiger Bürgerkrieg. Und der tadschikische Bruderkampf ist auf dem besten Weg, zu einem regionalen Konflikt mit unabsehbaren Folgen zu werden.

Gestern nahmen tadschikische Guerilla-Verbände, von denen es heißt, daß sie sehr gut ausgebildet und ausgerüstet sind, von Afghanistan aus russische Grenzposten unter Artilleriefeuer und verwundeten zwei von ihnen. Am Wochenende hatten russische Soldaten, die am Grenzfluß Amu Darya Wache schieben, afghanische Dörfer beschossen. Dreihundert Zivilisten waren dabei nach Angaben von Radio Kabul ums Leben gekommen.

Zuvor hatten russische Kampfflugzeuge die tadschikische Ortschaft Tawil Dara, die als Hochburg der muslimischen Rebellen gilt, bombardiert. Die Angriffe werden in Duschanbe, der tadschikischen Hauptstadt, als Vergeltungsschlag bezeichnet. Einige Tage zuvor hatten tadschikische Oppositionskämpfer zusammen mit afghanischen Mudschaheddin die russischen Posten angegriffen und einige Dutzend Soldaten getötet.

Gefahr einer Neuauflage des Afghanistan-Krieges

Inzwischen hat Moskau angekündigt, die russische Division 201, die die Grenze zu Afghanistan kontrolliert, mit Männern und Waffen zu verstärken. Zugleich haben die tadschikische und die afghanische Regierung die Vereinten Nationen in New York um Vermittlung gebeten. Eine mögliche Neuauflage des russisch-afghanischen Krieges rückt immer näher.

Der Konflikt in der mittelasiatischen Republik begann vor zwei Jahren. Im Sommer 1991 stürzte die tadschikische Opposition, eine Koalition der islamischen und nationalistischen Parteien, den damaligen altkommunistischen Staatschef Rahman Nabijew. Doch die Rache der Kommunisten ließ nicht lange auf sich warten. Mit Hilfe russischer und usbekischer Panzer stürmten die kommunistischen Verbände im Dezember 1991 die Hauptstadt Duschanbe. Tausende von Gegnern wurden massakriert, Zehntausende in den Kerker geworfen.

Insgesamt verloren 30.000 Menschen im tadschikischen Bruderkampf ihr Leben, eine halbe Million Tadschiken mußten ihre Heimat verlassen. Etwa hunderttausend Flüchtlinge fanden jenseits des Grenzflusses Amu Darya auf afghanischem Boden Zuflucht. Dort leben sie bis heute in Zelten und werden vom Flüchtlingshilfswerk der UNO mit Nahrungsmitteln versorgt. Mit ihrer afghanischen Umgebung teilen sie Sprache, Religion und ethnische Herkunft.

Zunächst schien es, als säßen die neuen Machthaber unter Ali Rahmanow fest im Sattel. Doch bald flammten vielerorts im tadschikischen Bergland erneut die Kämpfe auf. In der Provinz Gahrm, östlich von Duschanbe, wie in der Bergregion Badachschan war der islamisch-nationalistische Widerstand ungebrochen. Auch ein Zwischenfall kam der Opposition zugute. Sangar Safarow, das militärische Haupt der kommunistischen Verbände, wurde im Sommer von seinem eigenen Adjutanten ermordet. Er galt als eiserne Faust der kommunistischen Machthaber.

Bald gab es auch Angriffe der tadschikischen Rebellen von afghanischem Boden aus. Etwa 6.000 bewaffnete Anhänger der tadschikischen Oppositionsparteien, namentlich der „Islamischen Wiedergeburt“, halten sich in der Nähe der nordafghanischen Stadt Kondoz auf. Mit Hilfe der afghanischen Mudschaheddin griffen die tadschikischen Rebellen immer wieder die Dörfer jenseits des Grenzflusses an, wie einst die Basmatschi in den zwanziger Jahren. Damals operierten die Basmatschi, die muslimischen Anhänger des Emir von Buchara, von Afghanistan aus gegen die siegreichen Bolschewisten, nachdem ihr Widerstand in der eigenen Heimat gebrochen worden war.

Indes sind die Beschuldigungen aus Duschanbe, hinter den blutigen Zwischenfällen am Amu Darya stünde die afghanische Regierung, bloße Propaganda. Die afghanischen Herrscher sind zur Zeit zu sehr von den eigenen Rebellen bedrängt, um für Ärger im tadschikischen Nachbarland sorgen zu können. Mehr als einmal hatte Kabul angekündigt, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Tadschikistans einmischen zu wollen. Außerdem hat die Zentralregierung keine Macht in den nördlichen Grenzprovinzen, um von dort aus gegen die tadschikische Republik operieren zu können.

„Die gottlosen Russen ein für alle Mal vertreiben“

Der Herr des afghanischen Nordens, General Abdul Raschid Dostam, sympathisiert eher mit den kommunistischen Machthabern in Mittelasien als mit deren islamistischen Opponenten. Noch vor wenigen Monaten setzte er die tadschikischen Oppositionsführer, die sich zum Teil in Mezar Scharif aufhalten, unter Druck, sie sollten sich mit der Regierung in Duschanbe verständigen und ihren Widerstand aufgeben.

Bei den afghanischen Helfern der tadschikischen Rebellen handelt es sich zum Teil um marodierende Gruppen, die sich von ihren Streifzügen auf tadschikischem Boden Beute versprechen, oder um Anhänger des afghanischen Fundamentalistenführers Hekmatyar. In der Provinz Tachar nahe der tadschikischen Grenze hat der paschtunische Zelot Hekmatyar viele Anhänger.

Seit Jahren träumt Hekmatyar davon, die Fahne des Propheten in den mittelasiatischen Städten wehen zu sehen. „Wir werden die gottlosen Russen“, verkündete er vor einem Jahr, „aus den Ländern des Islam ein für alle Mal vertreiben.“ Außerdem beabsichtigt der fundamentalistische Rebellenführer mit den Angriffen auf die russischen Grenzsoldaten, einen Konflikt vom Zaune zu brechen und so die Kabuler Regierung zu destabilisieren. Er ist zwar designierter Premierminister, trachtet aber weiterhin nach der ganzen Macht. Ahmad Taheri

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