: Bayern treibt Paragraph 218 ab
■ In Bayern werden alle abtreibungswilligen Frauen genötigt, ihre Anonymität preiszugeben / Bundesverfassungsrichter sehen ihr Urteil fehlinterpretiert / Pro Familia prüft
Bavaria (taz) – Das Bundesland Bayern unterläuft gezielt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 28.5.1993 zum Abtreibungsrecht. Im Widerspruch zu dem Urteil, wonach schwangere Frauen auf ihren Wunsch anonym bleiben dürfen, fordern alle Beratungsstellen des südlichsten Bundeslandes von den Frauen die Preisgabe ihrer Personalien und deren Verbleib in der Beratungsstelle.
Daran halten sich sämtliche Träger – von der katholischen Caritas über die Diakonie und die Gesundheitsämter bis hin zu Pro Familia. Sie berufen sich dabei auf ein Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familien, Frauen und Gesundheit vom 12. Juli. Darin wird ausdrücklich angeordnet, daß auch von jenen Frauen, die anonym bleiben wollen, Name, Anschrift und Geburtsdatum in der Beratungsstelle archiviert werden. Besteht die Frau auf ihrer Anonymität, erhält sie keinen Beratungsschein und darf offiziell nicht abtreiben. „Das ist ein klarer Fall von Nötigung“, sagt Monika Frommel, Strafrechtsprofessorin aus Kiel.
Der Pressesprecher und Regierungsdirektor im Bayerischen Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Albert Limmer, hat mit der Duplikatepraxis allein den „Schutz der Frauen und der Ärzte“ im Sinn. Damit sei gewährleistet, daß „mißbräuchlichen Verdachtsmomenten“ nachgegangen werden und insbesondere der Arzt „überprüfen“ kann, ob die abtreibungswillige Frau tatsächlich beraten wurde. Schon aus datenrechtlichen Erwägungen ist dies unzulässig. Winfried Hassemer, Datenschutzbeauftragter von Hessen, sagt: „Erforderlich im Sinne des Urteils ist lediglich, daß die Frau zur Namensüberprüfung einmal kurz ihre Identität preisgibt.“ Auch eine Anfrage bei Pro Familia ergab, daß „weder einem Arzt noch einer anderen Person Auskunft erteilt werden darf“. Die im bayerischen Ministerium zuständige Regierungsdirektorin Rück-Wallenberger wollte sich gestern zu den Vorwürfen der taz nicht äußern.
Nach dem Urteil der Verfassungsrichter ist der Verbleib von personenbezogenen Daten in der Beratungsstelle nicht gewollt. Entsprechend hält Bundesverfassungsrichter Berthold Sommer die Bayern-Variante „für schlecht vereinbar mit dem Motiv der anonymen Beratung“. Die erzwungene Preisgabe der Identität läuft „der intendierten Offenheit der Beratung zuwider“. Auch sein Kollege Konrad Kruis, der im Unterschied zu Sommer für das Urteil gestimmt hat, sagt: „Nach dem Urteil ist das natürlich nicht so gedacht. Die Beratung muß anonym erfolgen, das ist unabdingbar.“
Selbst Pro Familia ist bislang voll auf Abtreibung blau-weiß und behält von jedem Beratungsschein ein Duplikat zurück. Durch Nachfragen der taz sind der Münchner Vertretung jetzt allerdings Zweifel gekommen. Laut ProFa-Beraterin Eva Zattler beschloß das Münchner Team am Mittwoch, eine Anwältin mit den Fragen zu betrauen, „um dann so schnell wie möglich dem Wunsch der Frauen auf Anonymität wirklich zu entsprechen“. miß/ja
Tagesthema Seite 3
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