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Junge Ladenhüter mit Modemut

Vier Portraits über ModemacherInnen in Mitte/Bericht vom Zeitgeist und Modebegriff und katastrophengeilen Unternehmen/Zu Besuch bei „G.B.“, „Karl Faktor“ und „NIX“  ■ Von Petra Brändle

Der „NIX“-Laden

„Aus der Mitte kommt das kreative Potential, aus der Mitte kommen die Impulse.“ Barbara Gebhard zupft an einer langen Haarsträhne und blickt sich um. Gemeint ist Berlin-Mitte: Kunst am Haus, Kunst in der Galerie, Leben auf der Straße, Phantasie im Kopf. „Hier muß ich nur aufgreifen, was in der Luft liegt.“ Was aber liegt hier „in der Luft“? Die Antwort der beiden „NIX“-Designerinnen Barbara Gebhard und Angela Herb, 28 und 27 Jahre alt: „Zeitgeist.“ Zeitgeist, der bei ihnen in der Kleidung Form findet und keineswegs negativ mit dem Yuppie- Lifestyle-Gehabe assoziiert wird. Die beiden ehemaligen Lette- Schülerinnen und Noch-Hausbesetzerinnen verstehen darunter die Linie einer Zeit, das Lebensgefühl dieser Zeit. Bei „NIX“ jedenfalls steckt im Drunter und Drüber von Shorts, Bustier, Kleid, Jäckchen, Jacke und noch mehr das Chaos der Straße, das Chaos von Mitte. Genauso versteckt sich in den klaren, ruhigen Linien des Designs auch der Müßiggang, der in den Cafés zu jeder Tageszeit gepflegt wird. Aus dem kontroversen Mix der Straße, den Kreationen der Hausbesetzerinnen und Trendsetzerinnen destillieren sie in Naturfarben und -materialien das Bewahrenswerte. Wo Berlin-Mitte genauso schnellebig wie die Mode kurzlebig ist, wirken die langen Silhouetten ihrer Kleider und auch die derben Linien der Hosen (mit quer eingelassenem Reißverschluß, so daß die Hose zur Shorts werden kann) ruhig und bedächtig. Und die großen Kapuzen, einzig wirklich modisches Anhängsel im NIX- Design, sind wie geschaffen, um sich für Momente der Raserei der Zeit zu entziehen, sich einzukuscheln. Ein Symbol für die Suche nach Geborgenheit mitten im Umbruch?

Seit 1991 haben die beiden Frauen den winzigen Gewerberaum in der Auguststraße – doch mit feiner Entwurfs- und Näharbeit hatte der Traum vom Laden erst mal nichts zu tun. Harte Überzeugungsarbeit, also unzählige Bittmärsche von einer Bank zur nächsten waren angesagt. Erst über das Frauennetzwerk „Goldrausch“ waren sie kreditwürdig. Danach: eigenhändiges Renovieren; dann endlich das eigene, kreative Kleidungsgestalten. Seitdem leben die Modemacherinnen von „Schulden, Luft und Liebe“. Aufgewogen wird diese spartanische Lebensweise („Wochenende – was ist das?“) dadurch, daß beide sich mit ihren Modellen identifizieren können, ja sich so sehr identifizieren, daß Kritik an den Entwürfen persönlich trifft, auch verletzt. Der größte Vorteil aber: kein Chef, keine Chefin kann die industrielle Produktion, d.h. einfache Fertigungsweise anmahnen; niemand zwingt sie, Saisonhits wie Schlaghosen an die Stange zu hängen, um damit schnelles Geld zu machen. Im Gegenteil: Gegen den raschen Wechsel der Mode ohne Tempolimit wollen sie eine Mode, die bleibt; eine Mode, die nicht nach Verkleidung aussieht und trotzdem für sich spricht, also individuell ist. Individuell ist bei Barbara: Pippi Langstrumpf. Freches, leicht veredelt – das ist die Sprache ihrer Kleidung. Eine sanfte Übersetzung findet sich auch in den Modellen, die im Laden verkauft werden. Angela dagegen liebt gewagte Einsichten mit Schlitzen – aufs Drunter. Ihre Kleidungsschichten verkörpern die „drei oder vier Ichs“, nach deren Stimmung sie sich mal lässig, mal edel kleidet. Wie die Kleidung aussieht, ist im Grunde nur insofern wichtig, als es eine bewußte Wahl darstellt. Denn, so die Nix-Designerinnen, wer auf sein Äußeres Wert legt und dies in einem bestimmten Stil ausdrückt, legt auch auf sein Inneres mehr wert.

„Karl Faktor“

Ihr wird nachgesagt, daß sie ihr erstes Kuscheltier mit vier Jahren genäht hat. Aus eigener Erinnerung weiß die 24jährige Katja Dathe nur, daß sie „ihre Klamotten schon immer selbst genäht hat, weil es ja nichts gab in der DDR – jedenfalls nichts, was mir gefallen hat“. Und so rutschte die zierliche Frau nach eigener Aussage „irgendwie“ in einen Beruf hinein, den sie nicht einmal „gelernt“ hat. Ein paar Tips von einer alten Schneiderin und deren Konstruktionsvorlagen aus den 50er und 60er Jahren, die sie nach dem Tod eben jener Schneiderin geerbt hat – das sind die Grundlagen ihres Könnens. Damit entwarf sie schließlich jahrelang Modelle für Modeshows, mit denen sie und ihre Freundin in der ganzen Republik auftrat. „Das waren bestimmt die schmutzigsten Modeshows in der ganzen DDR.“ Katja Dathe lacht, wenn sie an ihre Touren denkt: Ohne Verkaufszweck, absolut unprofessionell, mit schmutzigen Fingernägeln und barfuß hätten sie vor VEB-Betriebsfeiern die selbstgeschneiderten Modelle präsentiert. Als „kulturelle Bereicherung“ war's von Staats wegen gedacht. Von geschockten Genossen erhielten sie einst gar die doppelte Gage – mit der Bedingung, daß sie auf ihren Auftritt verzichteten.

Bei den Erzählungen der unprätentiösen Kleidermacherin entsteht der Eindruck, Katja Dathe sei stets durch das Leben geschlendert. Irgendwie ist ihr „alles einfach so passiert“, aber vielleicht sei sie auch nur „katastrophengeil“. 1988 hat sie mit den Modeshows aufgehört. Fortan bastelte sie an Gewandkreationen, die sie förmlich auf die Spitze treiben wollte: „Es war für mich eine persönliche Erquickung, die technischen Grenzen auszuprobieren.“ Was dabei herauskam, waren Samt- und Filzkleider, die an den unmöglichsten Stellen spitze Hügel und Beulen hatten. Verschlungene Pfade in Form von Abnähern, festgelegt in komplizierten Schnitten, führten auf die Extreme zu – umrankt von Löchern. Eigenwillig untragbar. Ein Experiment, zu dem sie gezwungen war, „weil ich Abnäher und Nähte, die durch den Körper bedingt werden, umgehen wollte“. So hat ihr Kleidermachen wenig mit Mode als Trend zu tun; die entsprechenden Modemessen besucht sie gleich gar nicht. Vielmehr sind es Experimente, die einen persönlichen Stil zulassen. Vom „Hügelmodell“ hat sich die Designerin inzwischen verabschiedet, für den Herbst ist ein Versuch mit „matschiggrauem Schusterhanf“ und breitem Cord angesagt; dazwischen: Karos, jedoch keinesfalls knallige Farben.

„Karl Faktor“ ist der Ort für Dathes Experimente. Doch bei der Eröffnung am 27. Mai 1993 war der Laden bis auf das Interieur der Künstlergruppe „Dead Chickens“ leer. Beim Renovieren war keine Zeit geblieben für die Mode.

Heute hängen in ihrem Atelier naturfarbene und schwarze Kleider, Hosen und Jacken (bisher nur für Frauen), die allein auf den ersten Blick klassisch-schlicht sind. Irgendwo aber versteckt sich am Kleid gewiß ein eigenwilliger Ausschnitt oder raffinierter Schlitz. Am deutlichsten verrät Katja Dathe ihre Handschrift in einem schwarzen, langen Kleid mit einem schmalen Überwurf, der entfernt an den des Priestergewandes erinnert. Von der Seite bietet das Kleid eine überraschende Durchsicht auf weibliche Formen im Profil; die Einsicht, die die Neugier stillen würde, wird jedoch nicht gewährt. Ein schönes Wechselspiel zwischen Verstecken und Zeigen.

Die Boutique „G.B.“

„Klamotten sind nicht der Nabel der Welt“, spricht's, lehnt sich zurück und grinst. Er trägt ein ausgewaschenes Schlabbershirt, jene obligatorischen Jeans mit den drei Nummern und beschäftigt sich doch den ganzen Tag mit nichts als ... eben Klamotten. Guido Bednartz ist 33 und hat vor zweieinhalb Jahren in der Veteranenstraße zusammen mit Cornelia Düngenheim und Kerstin Reim eine Boutique eröffnet. Er ist Koch, war Kleindarsteller und Dressman, war auch bei der Volksarmee und stand mit 22 Jahren vor der wichtigen Entscheidung, endlich etwas „Richtiges“ zu machen. Etwas Richtiges, das war bei ihm Journalistik, Schauspielerei oder Mode.

Als Kostümbildassistent beim Fernsehen der DDR endete er deshalb, weil's dort zuerst geklappt hat. Nun ist er geschäftsführender Herr im Laden und auf dem Standpunkt, daß man einen guten Mantel nicht jedes Jahr neu erfinden muß, nur weil Mode im wesentliFortsetzung nächste Seite

Modell von „NIX“ Foto: Boris Geilert/G.A.F.F.

Modelle von „G.B.“ Foto: Petra Schneider

„Der nackte Mensch ist im allgemeinen ein schändlicher Anblick“ (Friedrich Nietzsche)

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