: Beziehungsspiele
■ Bertelsmann-Studie untersucht das Verhältnis von Politikern und Journalisten
Gütersloh – Polit-Skandale werden in den Medien Konjunktur behalten, die Tabus der politischen Berichterstattung weiter fallen. Zu diesem Befund kommen Medienwissenschaftler, die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung die „Beziehungsspiele zwischen Medien und Politik“ untersucht haben.
An aktuellem Material für ihre Fallstudien hat es den Forschern nicht gemangelt. Der „Fall Späth“ und der „Fall Stolpe“ waren ebenso Untersuchungsgegenstand wie der innerparteiliche Entscheidungsprozeß um die Nachfolge von Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) oder die PR- Kampagnen der baden-württembergischen Landesregierung zur Standortbestimmung von Müllverbrennungsanlagen. In einem Fall wurde das Wissenschaftler-Quartett Barbara Pfetsch (Mannheim), Otfried Jarren (Hamburg), Wolfgang Donsbach (Dresden) und Hans-Matthias Kepplinger (Mainz) von der Affären-Realität eingeholt: Während sie noch den Einfluß der Journaille auf die Kür Engholms zum SPD-Kanzlerkandidaten untersuchten, hatte der Sozialdemokrat schon wieder das Handtuch geworfen.
Nach Auffassung des Mainzer Kommunikationsprofessors Kepplinger „verdrängt die Bloßstellung persönlicher Verfehlungen von Politikern zunehmend die Auseinandersetzung um politische Fehlentscheidungen“. Der Ausgang eines von den Medien enthüllten Politiker-Skandals hängt nach seiner Einschätzung keineswegs von der „Massivität der Vorwürfe“ ab. Entscheidend sei nicht das Verhalten der Medien, sondern vielmehr das Verhalten der Weggefährten im eigenen Lager.
Die Rücktritte von Späth, Möllemann, Krause und Engholm, so die Studie, zeigten, daß die Politiker erst Konsequenzen zogen, als sie von ihren Parteifreunden fallengelassen wurden. Während Vorwürfe wegen politischer Fehlentscheidungen „zumeist eine Verteidigung des Angegriffenen“ zuließen, gingen die politischen Weggefährten vor allem bei „moralischen Anschuldigungen“ auf Distanz. Kepplinger ist der Überzeugung, daß Späth letztlich nicht über die Finanzspritzen der Industrie bei seinen privaten Reisetrips gestürzt sei. Ursächlich für seinen Rücktritt seien vielmehr die Behauptungen gewesen, ihm seien „bei seinen Reisen nach Asien und Südamerika Frauen zugeführt worden“.
Beim jüngsten Machtkampf um die CSU-Spitze, auf dessen Höhepunkt „die kaputte Ehe“ Theo Waigels von renommierten Nachrichten-Magazinen ebenso thematisiert wurde wie von der einschlägigen Boulevardpresse, wurde der journalistische Sittenverfall offenkundig.
Der Hamburger Journalistikprofessor Otfried Jarren sieht die Ursachen hierfür in einer „verschärften Medien- und Journalisten-Konkurrenz“, die zu zunehmenden „Tabu-Verletzungen“ führe: „Personen und Persönliches werden wichtiger als Sachfragen.“
Für die Autoren ist der „apolitische und von den meisten Journalisten als illegitim empfundene Angriff“ auf die Privatsphäre Lothar Späths ein Beleg für ihre „Zwei- Bühnen-Theorie der politischen Öffentlichkeit“. Journalisten, Politiker und andere Personen agieren, so ihre These, auf „einer Vorder- und einer Hinterbühne“. Publizistische Enthüllungen spielen sich zunächst auf der Hinterbühne ab. Die Beziehungen zwischen den Politikern und Journalisten seien oft erheblich enger als nach außen sichtbar werden würde. Das Verhalten der Beteiligten werde von Motiven geleitet, die nichts mit der Sache zu tun haben.
Ulrich Saxer, Schweizer Publizistik-Professor und Vorstandsmitglied der Bertelsmannstiftung für den Bereich Medien, hat nach der Lektüre der Studie „ein beunruhigendes Bild vom Zustand der hiesigen politischen Kultur“ gewonnen: „Die publizitätssüchtigen Politiker und skrupellosen Medienmacher häufen sich.
Wenn die Journalisten nicht gerade persönlichen Verfehlungen von Politikern nachspürten, jagten sie zumeist „Pseudoereignissen“ hinterher. Jarren: „Politiker inszenieren Ereignisse für die Medien und unterlassen vielfach notwendige Entscheidungen.“ Die Folge sei eine „Placebo-Politik“, die keine Probleme löse, sondern zu Politikverdrossenheit führe.
Auch die Schlußfolgerungen des Schweizer Medienwissenschaftlers Saxer aus den Beobachtungen der bundesdeutschen Medienszene sind für die Politiker wenig schmeichelhaft: „Politiker betreiben Politik zunehmend symbolisch. Adressaten symbolischer Politik sind nicht die Bürger, sondern die Journalisten, und ihr Inhalt ist weniger das effiziente politische Handeln als das Reden darüber.“ Deshalb appeliere er an beide Seiten, sich auf Sachlichkeit und Professionalität zu konzentrieren. Andernfalls „gewinnen in der gegenwärtigen instabilen politischen Situation Populismus und Extremismus an Attraktivität.“ Johannes Nitschmann/epd
„Beziehungsspiele – Medien und Politik in der öffentlichen Diskussion“. Verlag Bertelsmann Stiftung, DM24,80, ISBN 3-89204.089-3.
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