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Horst Wessel

Als der 26jährige Horst Wessel, seines Zeichens Berliner Sturmführer der SA und recht talentiert im Agitieren, eines Winterabends eine Gruppe in sein Zimmer treten hört, zieht er die Pistole, was die anderen mit Feuer beantworten. Wessel wird schwer verletzt und stirbt später. Die Männer waren Mitglieder des Roten Frontkämpferbundes. Worum es ging? Autor Heinz Knobloch gelingt nach jahrelanger, detektivischer Recherche ein faszinierendes Berliner Sittengemälde der Endphase der Weimarer Republik. Sicherlich war die bekannte Konfrontation zwischen rot- braun im Spiel. Aber eigentlich, so Knobloch, ging es um lächerliche 13 Mark mehr Miete, die Wessel sich weigerte, seiner Zimmerwirtin zu zahlen. Daher ihre Anfrage bei Genossen des verstorbenen Ehemannes, ob man dem Wessel nicht auf die Sprünge helfen könne: „Proletarische Abreibung“ nannte sich das damals. Knobloch markiert die politische Instrumentalisierung auf beiden Seiten: Wessel wird für die Nazis zum Märtyrer aufgebaut, die Kommunisten spielen den Unfall auf einen Zuhälterkonflikt runter. Die Nationalsozialisten dann bauen einen neuen Täter auf: den von Knobloch immer nur „arm“ genannten Sally Epstein, der als erster Jude von den Nazis hingerichtet wird. Knoblochs Gerechtigkeitssinn und sein starkes Gefühl für die „kleinen Leute“ lassen ihn die traurige Geschichte Epsteins weiter nachspüren, bis in den SED-Staat hinein, der den Eltern erst nach langem Ringen eine kleine Rente für die erlittenen Untaten zubilligt.

Heinz Knobloch, „Der arme Epstein. Wie der Tod zu Horst Wessel kam“; Christoph Links Verlag, Berlin 1993, 220 Seiten, 38 DM

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