: Die Schein- Heiligen
Zwei schein-schwangere taz-Reporterinnen auf der Jagd nach dem 218-Beratungsschein ■ Von Michaela Schießl und Julia Albrecht
„Sie bekommen also ein Baby“, sagt die Beraterin in Magdeburg Julia auf den Bauch zu. Daß sie einfach nur schwanger ist und sich gerade nicht als Mutter betrachten will, muß Julia in dieser Beratungsstelle erst einmal klarmachen. Sie muß der Beraterin widersprechen, ihn sagen, den entscheidenden Satz: „Ich will kein Kind, ich möchte abtreiben.“
Tatsächlich offenbart meistens schon der erste Satz des Beratungsgesprächs, wes' Geistes Kind die Beraterin ist. Äußerst beliebt ist die unverfängliche Variante: „Sie sind also schwanger. Erzählen Sie mir doch mal, wie Sie sich fühlen.“ Sprechen soll sie, die Frau, über ihre Gründe, ihren Konflikt, ihre Not — oder eben über ihren Unwillen zum Seelen-Striptease. Jene Eingangsfrage hilft vor allem der Beraterin, ihr Gegenüber einzuschätzen: welche Einstellung die Frau hat, wo ihr Konflikt liegen könnte, wo die gesetzlich vorgeschriebene Beratung für das Leben ansetzen kann.
Dieser Methode steht ein anderer Gesprächsbeginn gegenüber — einer, der vor allem der Schwangeren hilft: „Sie wissen vielleicht, daß es seit kurzem ein neues Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Abtreibung gibt. Darin heißt es ausdrücklich, daß ganz alleine die Frau entscheidet, ob sie abtreiben möchte oder nicht.“
Nicht, daß es der Beraterin im bayerischen Hof nicht ernst wäre mit ihrer Pflicht, sich für das ungeborene Leben einzusetzen. Doch ebenso ernst nimmt sie die Eigenverantwortlichkeit der Frau, deren Recht auf Selbstbestimmung. Dieser Punkt liegt ihrem Kollegen in der Nachbarstadt nicht allzusehr am Herzen. Von Anfang an gibt er Michaela, unserer zweiten Beratungs- Test-Person, das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. „Sie wissen, mit dem neuen Gesetz wird die Beratungssituation verschärft. Wir müssen jetzt viel mehr abfragen, viel schärfer, und ein Protokoll anfertigen.“
Tatsächlich besteht in vielen Beratungsstellen, die die beiden taz- Reporterinnen auf ihrer Reise durch die Republik getestet haben, große Verunsicherung. Ist das Urteil nun positiv für die Frau, oder negativ? Ist die eigene Entscheidung eine neue Freiheit, die bezahlt wird mit dem selbstfinanzierten Eingriff? Wie unterschiedlich sind die Auslegungen?
Am eigenen Leib wollten die Reporterinnen erfahren, wie sich das neue Abtreibungsrecht anfühlt. Getarnt als Schwangere und ihre Freundin ließen sie sich beraten, von der katholischen Caritas, den evangelischen Diakoniefilialen, städtischen Gesundheitsämtern, sozialmedizinischen Diensten. Das wohl verblüffenste Ergebnis: Die Katholiken setzen einem nicht härter zu als städtische Beamte, bayerische Berater sind nicht per se konservativer als Berliner. Die Art der Beratung hängt wesentlich von der beratenden Person ab, und weniger vom Träger der Beratungsstelle. Und nur ein einziges mal, in Mecklenburg- Vorpommern, durften die Reporterinnen das klassische Klischee- Ambiente bewundern: Ein hübsch auf dem Tisch drapiertes Magazin „Leben vor der Geburt“, mit transparentem Fötus auf dem Titel, niedliche Kinderbildchen an der Wand, daneben ein vorwurfsvoll dreinblickender Christus am Kreuz, der machtlos zusehen mußte, wie der Schein trotzdem rausgegeben wurde.
Um die Tests vergleichbar zu machen, haben Julia und Michaela jeweils an einer Vita festgehalten. Julia ist verstockt. Sie versucht die Totalverweigerung, will keinen Grund angeben für ihre Entscheidung. Sie will den Schein und ihre Ruhe, und sie findet, daß ihr das zusteht: Immerhin ist es per Urteil ihre eigene Entscheidung, und ihre Sache nicht, mit einer völlig fremden Person über ihre intimsten Angelegenheiten zu sprechen. Über diese Taktik lassen sich die Minimalzugeständnisse eruieren, die Julia letztendlich erfüllen muß, um den Schein zu bekommen.
Michaelas Nummer ist weniger fundamentalistisch. Sie spricht freimütig, aber ohne schlechtes Gewissen, über Gründe. Damit gibt sie den Beraterinnen Angriffsfläche, inhaltlich einzuhaken — und kommt damit nicht selten in Teufels Küche.
Daß die Frau ihre Gründe offenlegen soll, ist im Urteil festgeschrieben. Sie soll erklären, weshalb sie eine Tötung des Ungeborenen* in Betracht zieht: Für die Konfliktberatung wird erwartet, daß die schwangere Frau der sie beratenden Person die Tatsachen mitteilt, deretwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt. An den Gründen spalten sich die Geister, tauchen die Mißverständnisse auf. Denn auch die Beraterinnen sind verunsichert, was sie nach dem neuen Urteil der Klientin abverlangen müssen. Wo vorher die „soziale Notlagenindikation“ stand und die Frau beweisen mußte, weshalb es für sie sozial untragbar ist, ein Kind auf die Welt zu bringen, genügt heute, daß überhaupt Gründe angegeben werden.
„Wenn sie keine Gründe nennen, kann ich Ihnen keinen Schein geben“, sagt deshalb die Katholikin aus Magdeburg. Die Konfliktberatung ist nur möglich, wenn die Schwangere die wesentlichen Gründe mitteilt. Aber auch die schweigende Schwangere kann aus dem Urteil zitieren: Es ist davon abzusehen, die erwartete Gesprächs- oder Mitwirkungsbereitschaft der Frau zu erzwingen.
Nicht zufällig ist das Urteil in der Frage der Gründe stark ambivalent. Hier stoßen die moralischen Wertvorstellungen aufeinander, die dem gesamten Urteil unterlegt sind. Einserseits darf die Frau nach der neuen Beratungsregelung selbst entscheiden — das Urteil spricht von Ergebnisoffenheit. Andererseits beharren die Richter darauf, daß es sich bei einer Abtreibung um eine Tötung handelt und die Beraterin als Fürsprecherin des Ungeborenen fungiert.
Eine schweigende Frau läuft also Gefahr, keinen Schein zu bekommen. „Wieso wollen Sie denn keinen Grund nennen?“ fragt die Magdeburgerin und gibt sich schließlich mit der Minimalinformation zu frieden: Julia hat ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen. Das kann sie in das Protokoll eintragen, was bei jeder Beratung erstellt werden muß und der staatlichen Kontrolle der Beratungsstellen dient.
Julias Häppchentaktik, nur wenige Gründe anzugeben, stellt sich als brauchbar heraus für Frauen, die Persönliches nicht mit Fremden besprechen wollen. Nennt die Frau allein sachliche Gründe, kann die Beraterin nicht nachhaken, keine emotionalen Fallen stellen.
Das Urteil fordert nicht nur, daß Gründe genannte werden — Michaela nennt Gründe — es erwartet darüberhinaus, daß die Frau sich in einem seelischen Konflikt befindet. Nun hat Michaela ein Problem: sie hat keinen Konflikt und verfehlt so die Grundprämisse: Ein Schwangerschaftkonflikt erwächst in aller Regel aus einem elementaren Zwiespalt zwischen der Erkenntnis, schutzbedürftige menschliches Leben in sich zu tragen, dem Wunsch, das Kind haben zu wollen einerseits und andererseits der Sorge, der damit verbundenen Aufgabe nicht gewachsen zu sein Die Beraterin in Neustrelitz riecht den Braten und fragt: „Sie sehen das sicher nicht als Leben an“ und erhält prompt Recht. Für Michaela ist das kein Leben und moralische Skrupel hat sie auch nicht. Sie will ganz schlicht ihren Lebensplan verfolgen, ihre Arbeit machen. „Ich mag Kinder nicht“ ist die Zuspitzung. Das provuziert die „Anwältin des Lebens“. Doch der moralischen Diskussion entzieht sich Michaela durch Verweis auf das gerichtlich festgesetzte Kriterium der „Opfergrenze“: Ein Schwangerschaftsabbruch darf dann in Betracht gezogen werden, wenn der Frau eine Belastung erwächst, die so außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt Was für ein Frau zumutbar ist, ist vollkommen subjektiv. Für Michaela, die lieber arbeitet als Windeln wechselt, ist ein Kind schlechterdings unzumutbar. Sie bekommt den Schein.
Allerdings erst, nachdem das Protokoll ausgefüllt wird, ein Vordruck, in dem die Vorgaben des Urteils abgefragt werden: Alter, Familienstand, Anzahl der Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche, Zahl der Kinder und eben die Gründe. Die Dauer des Beratungsgesprächs muß dokumentiert werden, und die Personen angegeben, die zur Beratung zugezogen wurden. Ein allgemeingültiges Formular jedoch existiert nicht, jeder Träger hat sein eigenes Protokoll entworfen. Mit zum Teil frappierenden Unterschieden: Von vier anzukreuzenden Kästchen bis zum dreiseitigen Vernehmungsprotokoll reichen die Varianten. So wird schon das Formular Indiz für die Art, wie beraten wird. Den Erfahrung der Reporterinnen nach korreliert ein weniger umfangreicher Bogen mit einer höheren Wertung des Selbstbestimmungsrechts der Frau; Formulare, die viel abfragen, wirken bedrängender. Bewährt hat sich, wirklich nur das zu sagen, was das Urteil verlangt, sprich: Die statistischen Angaben und ein Grund genügen.
Ist die Protokollhürde übersprungen, kommt der wohl heikelste Punkt der Beratung: Die Anonymität der Beratenden, die vom Gericht als eine wesentliche Voraussetzung angesehen wird, daß sich die Frau tatsächlich der Beratung öffnet. Wer Angst hat, registriert zu werden, versucht instinktiv, möglichst wenig zu sagen, ein Gespräch kommt nicht zustande. Doch um den Beratungsschein auszustellen, muß sich die Frau einmal kurz identifizieren. „Darf ich bitte ihren Personalausweis sehen?“, fragt die evangelische Beraterin in Lüneburg. Julia gibt ihn ihr. Als die Beraterin versucht, Julias Adresse aufzuschreiben, protestiert sie: „Das Urteil sagt, daß nur der Name der Beratenen und das Datum des Gesprächs auf dem Schein erscheinen.“ Nur widerwillig beugt sich die Beraterin Julias Forderung. „Wir in Niedersachsen tragen gewöhnlich, aus Gründen der Identifizierbarkeit, die vollen Personalien ein.“
Was in Wahrheit so schlimm ja nicht wäre, denn schließlich nimmt die Schwangere eben jenen Schrieb samt Personalien an sich. Doch wer schützt die Frau davor, daß die Berater sich die Angaben merken und anschließend doch registrieren? So abstrus es klingt, möglich ist alles: In Lüneburg zum Beispiel erdreistete sich die Beraterin, Julias Geburtsdatum vom Paß abzulesen und anschließend ihr Alter, (das Julia nicht nennen wollte), nachträglich in das Protokoll, (das anonym in der Beratungsstelle verbleibt) einzutragen.
Um solchen Unsauberkeiten vorzubeugen, hat die Schwangere das Recht, ihre Identität gegenüber einer dritten Beratungsperson preiszugeben. Also ab ins Nebenzimmer, wo eine Kollegin den Beratungsschein ausstellen soll. Die bislang noch in Bayern angewandte Praxis, daß der Frau sämtliche Personalien samt eigener Unterschrift zum Verbleib in der Beratungsstelle abgenommen werden, läuft indes dem Urteil zuwider. Strafrechtlich betrachtet ist es eine Nötigung, wenn die Herausgabe des Scheins an die Preisgabe der Personalien gebunden wird. Aufgrund von taz-Berichten (siehe Seite 1) muß Bayern diese Praxis nun aufgeben. Der Frau, die anonym bleiben will, darf der Schein nicht verweigert werden.
Überhaupt gibt es nach dem Urteil nur ein Kriterium, den Beratungschein zu verweigern: Wenn der Berater der Auffassung ist, daß die Beratung noch nicht zu Ende ist. Dann darf er die Schwangere zu einem weiteren Gespräch zwingen, und mit ihrer Einwilligung, zusätzliche Personen, etwa den Vater des Kindes oder Freundinnen, dazubitten. Um dem zu entgehen, sollte die Frau versuchen, die Minimalanforderungen, an der das Urteil die Qualität der Beratung mißt, erfüllen.
Doch auf die Tötungsdiskussion muß sie sich nicht einzulassen: Selbst die Bundesverfassungsrichter Mahrenholz und Sommer, meinen, daß der Konflikt zwischen der „unantastbaren Autonomie des Menschen“ und das „Recht des Staates“ in diese Autonomie regelnd einzugreifen, grundsätzlich besteht und neu zu prüfen ist.
Bis das Urteil entgültig zum Gesetz wird gilt jedoch in jedem Fall der schöne Satz: „Die Frau bestimmt und verantwortet den Abbruch der Schwangerschaft selbst.“
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