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Zins-Achterbahn in Europa

Nach Zinssenkungen jetzt wieder höhere Zinsen / Währungsturbulenzen im EWS / Gerüchte über den Ausstieg des Francs aus dem EWS  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Die Phase der niedrigen Zinsen in Europa ist zu Ende. Frankreich und Belgien erhöhten gestern die Leitzinsen – das sind die Zinssätze, zu denen sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank Geld beschaffen und die daher das Zinsniveau eines Landes bestimmen.

Vor allem für die konservative französische Regierung ist dies ein herber Rückschlag. Mit insgesamt zehn Zinssenkungsschritten in Folge hatten sich die Franzosen erstmalig geldpolitisch von der Bundesbank unabhängig machen wollen. Die Politik der billigen Kredite war das Kernstück des Wirtschaftsprogramms von Premier Edouard Balladur: So wollte er die Rezession bezwingen.

Seit letzter Woche befindet sich der Franc jedoch im freien Fall. Vorgestern war der Kurs mit 29,255 D-Mark für 100 Franc auf den tiefsten Stand seit den letzten Währungsturbulenzen im September 1992 gefallen. Die Schuld an diesem Schwächeanfall wird der deutschen Bundesbank zugeschoben. Sie weigert sich immer noch, die nach wie vor hohen Zinsen in Deutschland deutlich genug zu senken. Geldanleger setzen also auf die Mark; der Franc, dem noch vor wenigen Wochen zugetraut worden war, die Mark als europäische Leitwährung abzulösen, unterlag dagegen den zunehmenden Attacken von Spekulanten.

Bundesbank und Banque de France kauften zwar zur Kursstützung Franc auf, und die beiden Regierungen versuchten, mit demonstrativen Erklärungen die französische Währung gesundzureden. Die Zentralbanken sind jedoch angesichts der Summen, die auf den Devisenmärkten lockergemacht werden können, ziemlich machtlos. Haben sich die Spekulanten erst einmal gegen eine Währung verschworen, können sie, so schätzt ein Bundesbank-Sprecher, die immense Summe von 200 Milliarden Mark auf den Markt werfen.

Die französische Notenbank erhöhte daher zunächst die Leitzinsen für kurzfristige Geschäfte. Spekulanten heben nämlich für ihre Transaktionen nur kurzfristig Geld ab. Die Verteuerung dieses Geldes soll sie davon abschrecken. In der Folge erholte sich der französische Franc gestern minimal, sackte dann aber bald wieder ab. Die belgische Zentralbank entschied sich gleich für drastischere Schritte und erhöhte drei verschiedene Zinssätze, auch für längerfristige Geschäfte.

Im Europäischen Währungssystem (EWS) sind aber nicht nur der französische und der belgische Franc in die Bredouille geraten. Auch die iberischen Währungen Peseta und Escudo, die dänische Krone und das irische Pfund werden immer weicher. Die Mark dagegen erholt sich täglich von ihrem kurzfristigen Schwächeanfall im Frühsommer.

Schon schwirren Gerüchte durch die Devisenbörsen, daß es in nächster Zeit zu einem Realignment, also zu einer Abwertungsrunde der Schwachwährungen im EWS kommen könnte oder gar zum Ausstieg einzelner Währungen. Fliegt der Franc aus dem EWS, käme das einer politischen Katastrophe gleich, denn dann wäre die Währungsunion ein für allemal tot. Dennoch munkelt man in Paris hinter den Kulissen offenbar immer mehr vom Ausscheren des Francs aus dem EWS, der dann dem Beispiel des britischen Pfundes und der Lira folgen würde. Selbst der Parteichef der regierenden Neogaullisten, Jacques Chirac, soll dergleichen schon geäußert haben. Wirtschaftlich hätte Frankreich dadurch deutliche Vorteile: Ein niedriger Franc-Kurs würde französische Exporte preiswerter und damit wettbewerbsfähiger machen, die Zinsen könnten in aller Ruhe gesenkt werden. Bei einer Arbeitslosigkeit von 11,5 Prozent, Tendenz steigend, spricht allerhand für einen solchen Kurswechsel. Sämtliche Gerüchte wurden jedoch selbstverständlich gestern vehement dementiert.

Ein möglicher Ausstieg von Pfund und Lira aus dem EWS wurden letzten Herbst allerdings ebenso mit wachsender Heftigkeit dementiert. Bis es dann geschah.

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